Christoph Teichmann, Ralf Knaier
Rz. 79
Mittlerweile hat sich das OLG Frankfurt als erstes deutsches Obergericht mit einem Fall des Herausformwechsels einer deutschen GmbH auf eine italienische S.r.l. befasst. Im Grundsatz zutreffend stellt es fest, dass aufgrund der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV und der Interpretation dieser Normen durch den EuGH einer deutschen GmbH eine Satzungssitzverlegung im Zuge eines Herausformwechsels in eine Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates der EU zu gestatten sei. Ebenfalls zutreffend stellt es fest, dass auch ein rechtsformkongruenter Formwechsel einer deutschen GmbH in das ausländische Pendant einer GmbH im Zuzugsstaat möglich ist. Bezüglich des anwendbaren Rechts erkennt das OLG die vom EuGH in der Rechtssache VALE vorgegebene Vereinigungstheorie auch für den vorliegenden Fall des Herausformwechsels an, wonach die grenzüberschreitende Umwandlung die sukzessive Anwendung von zwei nationalen Rechtsordnungen erfordert – also des Rechts des Herkunftsmitgliedstaates, dem die Gesellschaft unterliegt, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel vornehmen möchte, und des Rechts des Aufnahmemitgliedstaates, dem die Gesellschaft nach dem Formwechsel unterliegen wird (siehe auch Rdn 88 ff.). In der Konsequenz hält das OLG zumindest die §§ 190 ff. UmwG für analog anwendbar.
Rz. 80
Zwar wird im Beschluss von einer "(…) europarechtskonforme(n) entsprechende(n) Anwendung (…)" gesprochen, jedoch bedeutet dies konkret nichts anderes als eine analoge Anwendung der Vorschriften im allgemeinen Rahmen der deutschen Voraussetzungen einer Analogie im Einklang mit zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben. Was diese Ausführungen betrifft, ist der Beschluss des OLG zu begrüßen und steht sowohl mit den Vorgaben des EuGH als auch großen Teilen der Literatur und der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum umgekehrten Fall des Hineinformwechsels im Einklang.
Rz. 81
Im Fall des OLG Frankfurt war die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung vom italienischen Handelsregister in Rom/Italien bereits als S.r.l. unter Verweis auf die GmbH als Rechtsvorgängerin eingetragen worden. Eine Bescheinigung über den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in Deutschland lag jedoch nicht vor (dazu Rdn 122 ff.). Überraschend zieht das OLG zur Lösung der Frage § 202 Abs. 1, 2 und 3 UmwG entsprechend heran, ohne dass dieses Vorgehen in einer Konstellation wie der zu entscheidenden zuvor tatsächlich in der Literatur diskutiert worden wäre. Für eine analoge Anwendung des § 202 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 2 und 3 UmwG fehlten im Fall des OLG Frankfurt bei näherer Betrachtung jedoch ganz grundsätzlich die Voraussetzungen. Bei der Anwendung von § 202 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 2 und 3 UmwG entsprechend verkennt das OLG sodann, dass durch ein solches Vorgehen ein Eingreifen der deutschen Schutzmechanismen von vornherein entfällt, was zu einem erheblichen Missbrauchspotenzial führt, das durch die Verfahrensregeln gerade eingedämmt werden soll. Richtigerweise hätte das OLG das Formwechselverfahren als noch nicht abgeschlossen betrachten und die Verfahrensregeln auf deutscher Seite nachholen lassen müssen.
Insgesamt wird man die Entscheidung des OLG Frankfurt als Fehlurteil einstufen müssen, bei dem zu hoffen bleibt, dass es ein vereinzelter Irrläufer im Spektrum der bisherigen deutschen Entscheidungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel bleiben wird.
Rz. 82
Jüngst hatte sich das OLG Saarbrücken mit einer Satzungssitzverlegung einer deutschen GmbH nach Frankreich zu befassen. Die deutsche GmbH hatte nur einen Gesellschafter, keine Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmervertretung. Die Sitzverlegung sollte von Saarbrücken nur wenige Kilometer über die Grenze an den Ort erfolgen, an dem die Gesellschaft ohnehin ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübte. In der Bilanz waren Verbindlichkeiten von rund 2.800 EUR aufgeführt. Bei der Anmeldung zum deutschen Registergericht wurde versichert, dass keine Arbeitnehmer und auch keine Arbeitnehmervertretung vorhanden seien und daher Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und ihre Interessen nicht in Frage kämen. Versichert wurde außerdem, dass Gläubigerinteressen nicht betroffen seien. Man verzichtete vorsorglich auf die Abgabe eines Sitzverlegungsberichts und beantragte die Vorabeintragung in Saarbrücken, der dann die Eintragung in Frankreich folgen sollte. Das OLG setzt sich mit den auf den Vorgang anzuwenden Vorschriften auseinander und kommt zu dem Schluss, dass die ausschließliche analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG nicht ausreichend sei, um eventuell betroffene Interessengruppen ausreichend zu schützen. Es wendet ergänzend die für die grenzüberschreitende Verschmelzung geltenden Vorschriften analog an, insbesondere § 122d und § 122e UmwG (siehe auch § 5 Rdn 36 ff.).
Rz. 83
Bemerkenswert ist, dass das OLG Saarbrücken die Anwendung der §§ 122d, 122e UmwG insbesondere damit begründet, dass die §§ 190 ff. UmwG richtlinienkonform im Hinblick auf die Mobilitätsrichtlinie (dazu Rdn ...