Christoph Teichmann, Ralf Knaier
Rz. 40
Mit Beschränkungen, die vom Herkunftsstaat ausgingen (Wegzugsbeschränkung), befassten sich die Entscheidungen Daily Mail, Cartesio und Cadbury Schweppes. Im Fall Daily Mail hatte sich die englische Steuerbehörde dagegen ausgesprochen, dass eine nach englischem Recht gegründete Gesellschaft ihre Geschäftsleitung in die Niederlande verlegte. Der EuGH billigte diese Vorgehensweise und stellte fest, die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit gewährten einer Gesellschaft nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. In Cartesio wurde diese Entscheidung im Kern bestätigt. Der EuGH präzisiert dabei: Jeder Mitgliedstaat kann selbst die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet zu werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit zu kommen. Ebenso kann der Mitgliedstaat die Anknüpfung bestimmen, die notwendig ist, um diese Eigenschaft zu erhalten. Ein Mitgliedstaat muss es daher einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht gestatten, diese Eigenschaft auch dann zu behalten, wenn sie die Anknüpfung an das Recht des betreffenden Mitgliedstaates löst. Demzufolge kann die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland dazu führen, dass der Herkunftsstaat die betreffende Gesellschaft nicht länger als Gesellschaft seiner eigenen Rechtsordnung betrachtet. Der Gesellschaft bleibt dann nur die Auflösung oder der Formwechsel in eine Rechtsform des Aufnahmestaates (vgl. Rdn 49 ff.).
Rz. 41
Blickt man auf die Verankerung der Niederlassungsfreiheit in Art. 54 AEUV, lässt sich die Zurückhaltung des EuGH nachvollziehen. Eine Gesellschaft entsteht als Trägerin der Niederlassungsfreiheit erst dann, wenn sie sich nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wirksam gegründet hat. Die Gründungsregeln des nationalen Rechts sind somit – einschließlich der gewünschten Anknüpfung an das nationale Territorium – eine "Vorfrage", die der Anwendung der Niederlassungsfreiheit vorgelagert ist. Bezüglich der Anknüpfung an das eigene Territorium, werden in Art. 54 AEUV der Satzungssitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung "gleich geachtet". Demnach kann ein Mitgliedstaat für seine eigenen Gesellschaften die Ansiedlung der Hauptverwaltung im Inland zur Voraussetzung einer wirksamen Gründung erklären und die Aufrechterhaltung des Status als Gesellschaft der eigenen Rechtsordnung von der Beibehaltung dieser Anknüpfung abhängig machen. Mit dem Wegzug endet in diesen Fällen die Anwendung des bisherigen Gründungsrechts. Fraglich ist nur, ob dies zu einer Auflösung der Gesellschaft führt oder ob sie eine Rechtsform des Aufnahmestaates annehmen kann.