Rz. 187
Im Sozialversicherungsrecht zeigen sich die Folgen einer Scheinselbstständigkeit besonders drastisch. Es geht um hohe Nachforderungen.
Rz. 188
Denn die unrichtige Behandlung von Arbeitnehmern als Selbstständige führt dazu, dass der Arbeitgeber keine Sozialversicherungsbeiträge, d.h. weder Arbeitgeber- noch Arbeitnehmeranteile zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abführt. Gleiches gilt für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, die der Arbeitgeber allerdings allein zu tragen hat. Da der Arbeitgeber gem. § 28e Abs. 1 SGB IV der Schuldner der gesamten Sozialversicherungsbeiträge einschließlich des Arbeitnehmeranteiles ist, führt dies dazu, dass bei einer "Entdeckung" eines versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses der Arbeitgeber sämtliche Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses i.R.d. Verjährungsregelung (§ 25 SGB IV) nachzuzahlen hat.
Rz. 189
Dabei können sich die Rentenversicherungsträger auf Ermittlungsergebnisse der Hauptzollämter stützen. Eigene Ermittlungen der Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die Beitragsfestsetzung sind indes geboten, wenn aus den Ermittlungen des Hauptzollamtes bspw. ersichtlich wäre, dass namentlich bekannte, ohne größeren Verwaltungsaufwand befragbare Personen als Arbeitnehmer in Frage kommen könnten und wenn für diese Personen dennoch Beiträge in Form eines Beitragssummenbescheides festgesetzt worden wären. In derartigen oder sonstigen weiteren Fällen sind eigene Ermittlungen erforderlich.
Rz. 190
Die Beitragslast liegt nur dann allein bei dem (nur) – rentenversicherungspflichtigen – Solo-Selbstständigen, wenn die Voraussetzungen nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI erfüllt sind. Rentenversicherungspflichtig sind danach selbstständig tätige Personen – auch "selbstständig Tätige mit einem Auftraggeber" oder "arbeitnehmerähnliche Selbstständige" genannt –, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.
Rz. 191
Praxishinweis
"Entdeckt" werden kann die unzutreffende Einordnung des Beschäftigten als Selbstständiger im Wesentlichen durch fünf Wege:
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Ein Beteiligter leitet ein Verfahren auf Feststellung des Erwerbsstatus nach § 7a Abs. 1 SGB IV n.F. ein (Anm.: Ab 1.4.2022 gilt das neue Statusfeststellungsverfahren, welches das seit 1.1.1999 eingeführte Anfrageverfahren ersetzt; anstelle der Sozialversicherungspflicht wird nunmehr – neu ab 1.4.2022 – der Erwerbsstatus festgestellt). |
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Der Arbeitgeber erhält eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV. |
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Betriebsprüfungen außerhalb des vierjährigen Prüfungszeitraums werden vielfach auf Veranlassung der bei den Hauptzollämtern angesiedelten Finanzkontrolle Schwarzarbeit durchgeführt; sehr häufig geht es um den Tatbestand der Scheinselbstständigkeit. |
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Informationen nach einer Lohnsteueraußenprüfung durch Übersenden von Lohnsteueraußenprüfungsberichten im Rahmen von § 31 Abs. 2 AO. |
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Der ehemalige Mitarbeiter beantragt Arbeitslosengeld (s. Fall Lenroxx/Deutsche Telekom), und es erfolgt eine Ermittlung von Amts wegen gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X, ob ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis während der Beschäftigung vorlag oder nicht. |
Rz. 192
Hatten Auftragnehmer und/oder Auftraggeber den Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Beschäftigung fest, gilt der Tag der Bekanntgabe der Entscheidung gem. § 7a Abs. 5 S. 1 SGB IV n.F. als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis, wenn der Beschäftigte
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zustimmt und |
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er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht. |
Rz. 193
Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellt gem. § 7a Abs. 5 S. 2 SGB IV n.F. den Zeitpunkt fest, der als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis gilt. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird gem. § 7a Abs. 5 S. 3 SGB IV n.F. erst zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die Entscheidung, dass eine Beschäftigung vorliegt, unanfechtbar geworden ist.
Rz. 194
Das Verfahren zur Feststellung des Erwerbsstatus steht trotz des unterschiedlichen Regelungsumfangs ab 1.4.2022 wie bisher gleichberechtigt neben dem Einzugsstellen- und dem Betriebsprüfungsverfahren (§§ 28h Abs. 2, 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV).
Rz. 195
Praxishinweis
Ab dem 1.4.2022 entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund nicht mehr über die Sozialversicherungspflicht, sondern vielmehr über die Feststellung des Erwerbsstatus.
Damit sind die Prüfgegenstände in unterschiedlichen Verfahren nicht mehr identisch. Die ...