Rz. 260
Die Thematik der Rückabwicklung der Umsatzsteuer ist komplex. Wird der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich Freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt, so kann nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg der Dienstberechtigte die auf die Rechnungen des vermeintlich Freien Mitarbeiters an diesen gezahlte Umsatzsteuer im Wege der Leistungskondiktion zurückverlangen. Es nicht darauf zu verweisen, die zu Unrecht an den Mitarbeiter gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärung erstattet zu erhalten. Ein Fall der (zwingenden) Durchgriffskondiktion liege nicht vor, vielmehr könne der Gläubiger eine Rückabwicklung "über Eck" verlangen. M.E. erscheint fraglich, ob sich diese Auffassung mit Blick auf die praktische Umsetzung mit den jeweiligen Vorsteuerabzügen und § 14c Abs. 2 UStG (Beseitigung des im Wege des Vorsteuerabzugs eingetretenen Steuerverlusts) durchsetzen wird.
Rz. 261
Umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen ergeben sich jedenfalls für den Arbeitgeber hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug, soweit im Rahmen der Gesamtwürdigung bei der Beurteilung des Gesamtbilds eine unselbstständige Tätigkeit festgestellt wird. Denn der Arbeitgeber ist nur dann zum Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG berechtigt, wenn die Umsatzsteuer von einem Unternehmer gesondert in Rechnung gestellt worden ist. Zweifel an der Unternehmereigenschaft des "Freien Mitarbeiters" gehen zulasten des Arbeitgebers als Leistungsempfänger. Dieser trägt die objektive Beweislast. Gelingt dem Arbeitgeber nicht der Nachweis, ist er nicht berechtigt, die von dem "Solo-Selbstständigen" in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen.
Rz. 262
Beispiel 1
Bei fünf scheinselbstständigen Solo-Selbstständigen mit einem Honorar von jeweils 2.000 EUR/Monat plus derzeit 19 % USt = 380 EUR errechnet sich ein Gesamthonorar von 120.000 EUR/Jahr plus 22.800 EUR USt/Jahr. Bei einem Prüfungszeitraum von bspw. 3 Jahren ergeben sich bereits 68.400 EUR Vorsteuerkürzung für den Arbeitgeber plus Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO.
Beispiel 2
Bei Beschäftigung eines vermeintlich Solo-Selbstständigen zu einem Honorar von z.B. 3.000 EUR plus 570 EUR USt/Monat × 12 = 6.840 EUR USt/Jahr, bei zwei vermeintlich Freien Mitarbeitern 13.680 EUR USt/Jahr; bei einem Prüfungszeitraum von z.B. 3 Jahren im Rahmen einer Betriebsprüfung wird also bereits über 41.040 EUR nur für die Umsatzsteuer verhandelt.
Rz. 263
Gleichwohl schuldet der Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellt hat, ohne Unternehmer zu sein, dem Finanzamt die in seinen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer gem. § 14c Abs. 2 UStG. Damit die Finanzbehörde in diesem Fall die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht doppelt beanspruchen kann, besteht gem. § 14c Abs. 2 S. 3 bis 5 UStG die Möglichkeit der Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt worden ist.
Rz. 264
Praxishinweis
Das Verfahren läuft wie folgt ab:
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Zunächst muss der Arbeitnehmer, der die Rechnung ausgestellt hat, den unberechtigten Steuerausweis ggü. dem Belegempfänger, d.h. ggü. dem Arbeitgeber, für ungültig erklären. |
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Danach hat der Rechnungsaussteller die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages bei dem für seine Besteuerung zuständigen Finanzamtes gesondert schriftlich zu beantragen. |
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Das Finanzamt hat durch Einholung einer Auskunft beim Finanzamt des Rechnungsempfängers zu ermitteln, in welcher Höhe und wann ein unberechtigt in Anspruch genommener Vorsteuerabzug durch den Rechnungsempfänger zurückgezahlt wurde. |
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Nach Einholung dieser Auskunft teilt das Finanzamt des Schuldners des unberechtigt ausgewiesenen Betrages diesem mit, für welchen Besteuerungszeitraum und in welcher Höhe die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages vorgenommen werden kann. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages ist in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. |
Rz. 265
Ebenso liegt der Fall, wenn der Mitarbeiter nicht selbst eine Rechnung ausstellt, sondern der Arbeitgeber/Auftraggeber ihm eine Gutschrift i.S.d. § 14 Abs. 2 S. 2 UStG ausstellt. Der Unterschied zwischen einer Rechnung und einer Gutschrift liegt darin, dass nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger über die Leistung abrechnet. Eine Gutschrift wird auch nicht dadurch zu einer Rechnung, dass der Leistungsempfänger (hier: Auftraggeber) sich die Gutschrift vom Leistenden (hier: Auftragnehmer/Mitarbeiter) unterschreiben lässt. Hat der Arbeitgeber (Leistungsempfänger) dem Arbeitnehmer eine Gutschrift erteilt, die nach § 14 Abs. 2 S. 2 UStG die Wirkung einer Rechnung hat, schuldet auch in die...