Dr. iur. Frank Fad, Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 5
Halterhaftung ist Gefährdungshaftung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass der Kraftfahrzeughalter – erlaubterweise – dadurch eine Gefahrenquelle eröffnet, dass er ein Kraftahrzeug betreibt. Dementsprechend sollen mit Hilfe der Vorschrift alle durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs beeinflussten Schadensabläufe erfasst werden. Der Kfz-Halter haftet nicht primär für verbotenes Verhalten, sondern für die Eröffnung einer Gefahrenquelle. Deshalb wird er, auch wenn er sich weder schuldhaft noch verkehrswidrig verhält, in den Grenzen des StVG mit der Schadenshaftung regelmäßig allein schon deshalb belegt, weil er als Verfügungsberechtigter den mit dem Betrieb des Kfz verbundenen Gefahrenkreis eröffnet hat.
Rz. 6
Die Gefährdungshaftung i.S.d. § 7 StVG ist keine Unrechtshaftung. Sie beruht nicht auf dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für Unrecht, sondern in ihrem Grundgedanken auf dem Prinzip der Schadlosstellung für den Fall, dass sich ein Risiko verwirklicht, welches die Rechtsordnung zur Nutzung des technischen Fortschritts zulässt. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Die Haftung nach § 7 StVG endet – und insofern handelt es sich um ein "geschlossenes System" – erst dort, wo sich der Unfall als unabwendbares Ereignis darstellt oder soweit ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten oder die Betriebsgefahr seines unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges Berücksichtigung gebieten.
Rz. 7
Ob die Gefährdungshaftung zugleich objektive Rechtswidrigkeit voraussetzt, ist bestritten. Richtigerweise muss die in § 7 Abs. 1 StVG erläuterte Rechtsgutverletzung – in Abs. 2 als "Unfall" bezeichnet – objektiv rechtswidrig sein. Eine rechtmäßige Verletzung der Rechtsgüter eines anderen kann kaum als "Unfall" bezeichnet werden. Denn ein Unfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, welches nach der klassischen Auffassung vom Erfolgsunrecht (vgl. dazu oben § 2 Rdn 93) die Rechtswidrigkeit der eingetretenen Rechtsgutverletzung zwar regelmäßig indiziert, damit aber zugleich auch den Nachweis eines haftungsbefreienden Rechtfertigungsgrundes ermöglicht. Es ist deshalb sachgerecht, bei Vorliegen eines vom Schädiger nachzuweisenden Rechtfertigungsgrundes schon die Voraussetzungen einer Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG zu verneinen. Damit wird die nach Sinn und Zweck eher zweifelhafte Konstruktion einer Haftungsbefreiung wegen sog. "rechtlicher Unvermeidbarkeit" in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 3 StVG entbehrlich. Die Argumentation mit der "rechtlichen Unvermeidbarkeit" greift außerhalb des Anwendungsbereichs des § 17 Abs. 3, 4 StVG ohnehin nicht.
Rz. 8
Der Große Zivilsenat des BGH hat für den Anwendungsbereich des § 831 BGB entschieden, dass der Geschäftsherr für seinen Verrichtungsgehilfen (als Fahrer) nicht haftet, wenn dieser sich "verkehrsrichtig" und nach Auffassung des BGH damit zugleich rechtmäßig verhalten hat. Diese – von der Lehre der Sozialadäquanz beeinflusste – Auffassung ist in der Vergangenheit immer wieder heftig kritisiert worden. Für den Bereich der deliktsrechtlichen Haftung, die im Rahmen des § 831 BGB allein bei rechtswidrigem und verschuldensunabhängigem Verhalten des Verrichtungsgehilfen Schadensersatz gewährt, trifft diese Einschränkung der ansonsten erfolgsbezogenen Auffassung zu. Daraus darf indessen nicht gefolgert werden, dass bei verkehrsgerechtem Verhalten des Schädigers zugleich auch mangels Rechtswidrigkeit dessen Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfiele. Denn die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG hängt grundsätzlich nicht davon ab, inwieweit sich der Schädiger verkehrsgerecht oder -widrig verhalten hat. Demgemäß tritt gemäß § 17 Abs. 3 StVG eine Haftungsbefreiung des Halters erst in dem Falle ein, in dem der Unfall durch ein "unabwendbares Ereignis" verursacht worden ist. Dies setzt aber im Einzelfall möglicherweise mehr als bloß "verkehrsrichtiges Verhalten" des Fahrers voraus, sondern erfordert sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln, mithin die äußerste mögliche Sorgfalt eines "Idealfahrers", die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinausgeht.
Rz. 9
Der in Anspruch genommene Halter hat darzutun und zu beweisen, dass für die Verletzung eines nach § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsguts ein Rechtfertigungsgrund (z.B. Notwehr, Nothilfe, Einwilligung) vorlag. Praktische Bedeutung gewinnt das Problem bei den gestellten oder fingierten Unfällen. Auf die besonderen materiellen und prozessualen Probleme bei gestellten bzw. fingierten Unfällen sei hingewiesen.
Rz. 10
Geht es, wie meistens, um einen Unfall zwischen zwei oder mehreren Fahrzeugen, stellt sich regelmäßig die Frage nach der jeweiligen Haftungsverteilung zwischen den ...