Rz. 74
BGH, Urt. v. 15.7.2014 – VI ZR 313/13, NJW 2014, 3236
Zitat
BGB § 254 Abs. 2
Orientierungssatz juris:
Der Geschädigte eines Kfz-Unfalls, der seinen Fahrzeugschaden fiktiv abrechnet, kann auch während des Prozesses vom Schädiger bzw. seiner Kfz-Haftpflichtversicherung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verwiesen werden (Fortführung BGH, Urt. v. 14.5.2013 – VI ZR 320/12, VersR 2013, 876).
a) Der Fall
Rz. 75
Die Klägerin begehrte restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall am 27.11.2011, bei dem der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs die Fahrerseite des parkenden Fahrzeugs der Klägerin beschädigte. Die volle Einstandspflicht der Beklagten war unstreitig.
Rz. 76
Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige U gelangte in seinem Gutachten zu Nettoreparaturkosten in Höhe von 6.579,97 EUR, wobei er für Instandsetzungs- und Lackierarbeiten einen Nettostundensatz von 96,96 EUR zugrunde legte und unter anderem Kosten für Fahrzeugverbringung in Höhe von 96,96 EUR und einen Preisaufschlag auf die unverbindlich empfohlenen Preise für Ersatzteile (UPE-Zuschlag) von 10 % in Ansatz brachte. Mit Schreiben vom 5.12.2011 machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Übersendung des Gutachtens gegenüber der Beklagten unter anderem die Nettoreparaturkosten geltend, wobei er darauf verwies, dass die Klägerin vorerst auf Gutachtenbasis abrechne. Diese reparierte das Fahrzeug nachfolgend in Eigenregie.
Mit Schreiben vom 30.12.2011 rechnete die Beklagte den Schaden ab. Auf die Reparaturkosten kündigte sie eine Zahlung von 5.686,37 EUR an unter Hinweis auf ihren beigefügten Prüfbericht vom 13.12.2011, in dem die im Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze als nicht erforderlich bezeichnet wurden. Zudem verwies sie auf den Meisterbetrieb Firma B GmbH, dessen Stundenverrechnungssatz für Karosseriearbeiten 89 EUR, für Lackierung 93 EUR und für Mechanikarbeiten sowie Elektrikarbeiten 68 EUR betrage. Darüber hinaus wurden zwei weitere Reparaturbetriebe als gleichwertig bezeichnet und benannt.
Rz. 77
Die Klägerin verlangte den Differenzbetrag zwischen den vom Sachverständigen U kalkulierten Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten und den im Prüfbericht zugestandenen in Höhe von 893,60 EUR. Zudem hat sie Ansprüche auf Zahlung bzw. Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich des Hauptantrages abgewiesen und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,29 EUR zu zahlen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Amtsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte auch verurteilt, an die Klägerin 893,60 EUR zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag weiter, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts in vollem Umfang zurückzuweisen.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 78
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hatte seine Auffassung, die Klägerin sei zur fiktiven Abrechnung nach den im Gutachten U wiedergegebenen Stundenverrechnungssätzen berechtigt, damit begründet, dass ihr der Prüfbericht der Beklagten nicht rechtzeitig übermittelt worden sei. Dies stand im Widerspruch zur – zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung noch nicht veröffentlichten – Entscheidung des erkennenden Senats vom 14.5.2013 (VI ZR 320/12, VersR 2013, 876). Danach darf der Schädiger den Geschädigten, der – wie hier – fiktiv abrechnet, unter Umständen noch im Rechtsstreit auf günstigere Reparaturmöglichkeiten in einer Referenzwerkstatt verweisen.
Rz. 79
Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Senatsurt. v. 29.4.2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 4 – Porsche-Urteil [siehe auch Rdn 1 ff.)]; v. 20.10.2009 – VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn 7 f. – VW-Urteil [(siehe auch Rdn 7 ff.)]; v. 22.6.2010 – VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn 6 – Audi-Quattro-Urteil [(siehe auch Rdn 34 ff.)]; v. 22.6.2010 – VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn 6 – Mercedes-A 170-Urteil [siehe auch Rdn 47 ff.)]). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. z.B. Senatsurt. v. 23.3.1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; v. 29.4.2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 3). Allerdings ist unter Umständen ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen anderen ...