Rz. 1

Die Rekonstruktion eines Unfallhergangs beginnt mit der Spurenauswertung. Mithilfe einer Kollisionsanalyse und Crashversuchen können dann die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge eingegrenzt werden. Damit sind im Idealfall der Kollisionsort in der Örtlichkeit sowie die Kollisionsgeschwindigkeiten der Fahrzeuge bekannt. Dieser Teilbereich der Analyse umfasst aber nur die Kollision und die Phase danach. Welche Umstände zum Unfall führten, muss dann näher beleuchtet werden. Generell sind hier nur die letzten Sekunden vor dem Unfall von Bedeutung. Meistens beschränkt sich die unfallrelevante Phase sogar auf die letzten zwei bis drei Sekunden vor dem Unfall. Die Unfallentwicklung ist jedoch die wichtigste Phase im Rahmen der Rekonstruktion, da sich hier Alternativhandlungen für die Unfallbeteiligten aufzeigen lassen, die den Unfall möglicherweise verhindert hätten. Hier lässt sich z.B. klären, ob nur die "Vorfahrtsnahme" unfallursächlich war oder ob auch eine überhöhte Geschwindigkeit des anderen Unfallbeteiligten unfallkausale Auswirkungen hatten.

 

Rz. 2

Die einzige Möglichkeit, die Phase der Unfallentwicklung nachvollziehbar und lückenlos darzustellen, ist die Ausarbeitung eines sog. Weg-Zeit-Diagramms. Durch die Kollision der Fahrzeuge ist festgelegt, dass sich diese zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort befanden. Das Vorliegen dieser Bedingung lässt es zu, das Bewegungsverhalten der Unfallbeteiligten vor der Kollision ebenfalls in Beziehung zueinander zu setzen. Der besondere Vorteil eines Weg-Zeit-Diagramms liegt darin, dass die Positionen der am Unfall beteiligten Fahrzeuge in der Annäherung an den Kollisionsort kontinuierlich nachvollzogen werden können. Zudem können in einer Gerichtsverhandlung schnell Ergänzungen vorgenommen werden.

 

Rz. 3

Mitunter sieht man in Gutachten, dass Berechnungen zum Weg-Zeit-Zusammenhang präsentiert werden, die für den technischen Laien kaum verständlich sind. Selbst für einen zweiten Sachverständigen sind derartige Zusammenhänge oft nur dann nachvollziehbar, wenn die angesetzten Parameter in ein Weg-Zeit-Diagramm übertragen werden. Abb. 4.1 zeigt ein entsprechendes Beispiel. Unterhalb der Skizze sind Ergebnisse dargestellt, deren Zusammenhang sich dem technischen Laien kaum auf den ersten Blick erschließt.

Abb. 4.1

 

Rz. 4

Beliebt sind auch Ausdrucke aus Simulationsprogrammen (z.B. PC-Crash), auf denen viele, teils bunte Pkw-Modelle abgebildet sind, die einen Weg-Zeit-Zusammenhang darstellen sollen. Auch wenn letztlich das Ergebnis richtig sein kann, ist hier der Gesamtzusammenhang zwischen dem Fahrverhalten der Unfallbeteiligten nur schwer nachvollziehbar. Juristen ohne Hintergrundwissen sind in dieser Situation gewissermaßen dazu gezwungen, das von den Sachverständigen Vorgetragene zu glauben.

 

Rz. 5

Erst die Ausarbeitung im Weg-Zeit-Diagramm, die sowohl die Angaben der Beteiligten als auch der Zeugen berücksichtigt, zeigt, dass der Sachverständige den Gesamtzusammenhang erkannt hat. Daher ist das Weg-Zeit-Diagramm die höchste Analysestufe im Rahmen der Unfallrekonstruktion und sollte in keinem Gutachten fehlen, das sich mit der Unfallentwicklung beschäftigt. Der grundlegende Aufbau eines Weg-Zeit-Diagrammes, wichtige Begriffe und typische Fehler werden nachfolgend erklärt.

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