Rz. 137
Zunächst ist zu fragen, ob die Ehegatten das beiderseitige Vermögen als Einheit betrachtet haben und dies auch einheitlich an die nächste Generation übergeben wollten, ohne den Überlebenden, ggf. über §§ 2286, 2287 BGB hinaus, binden zu wollen (Einheitslösung), oder ob die Vermögensmassen getrennt behandelt werden sollten, sodass für das Vermögen des Erstversterbenden eine Sondererbfolge eingerichtet werden sollte, was zur Annahme der Vor- und Nacherbschaft führt (Trennungslösung).
Rz. 138
Das OLG Hamm hat für ein Grundstück, das im Alleineigentum eines Ehegatten stand, wie folgt entschieden:
Zitat
"Die Formulierung in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament, dass das den wesentlichen Teil des Nachlasses des Erstverstorbenen ausmachende Hausgrundstück nicht verkauft werden darf und von einem der gemeinschaftlichen Kinder übernommen werden soll, kann eine Auslegung im Sinne der Trennungslösung rechtfertigen."
Rz. 139
Andererseits kann auch die Bezeichnung als "Nacherbe" eine Einsetzung als Ersatzerbe bzw. Schlusserbe i.S.d. Einheitslösung sein, wenn sich aus der Auslegung die Vorstellung vom gemeinsamen Vermögen als Einheit ergibt. Bleibt die Frage offen, weil die Auslegung des Testaments keine klare Antwort zulässt, muss z.B. das Grundbuchamt vor der Eintragung des überlebenden Ehegatten als Alleinerben den Erbschein verlangen, da nur dann sicher ist, ob der Ehegatte mit oder ohne Nacherbenvermerk als Eigentümer eines Nachlassgrundstücks eingetragen werden kann.
Rz. 140
Bei der Auslegung ist insbesondere heranzuziehen, welcher Personenkreis und in welchem Verteilungsgrad die Erben der nächsten Generation bedacht wurden. Werden Verwandte des Ehemannes als seine und Verwandte der Ehefrau als ihre Erben angegeben, gilt die Trennungslösung. Sollte der Nachlass nach dem Tod des zweiten Ehegatten, egal um welchen es sich handelt, insgesamt an die Erben weitergegeben werden, spricht dies für die Einheitslösung. So hat zuletzt das Kammergericht erneut klargestellt, dass die Bezeichnung als "Nacherbe" in einem gemeinsamen Testament nach Erforschung des Willens der Testierenden "Schlusserbe" bedeuten kann. Dasselbe gilt für die Bezeichnung des Ehegatten als "befreiten Vorerben"; hier hat das OLG Schleswig durch Ermittlung des sich aus dem Testament ergebenden Erblasserwillens die Einheitslösung angenommen.
Rz. 141
Auch nähere Ausgestaltungen zu den Rechten des Überlebenden sind heranzuziehen. Werden diese durch Kontrollrechte der Kinder beschränkt, spricht dies für die Trennungslösung ebenso wie Formulierungen, die dem Ehegatten den Nutzen des Vermögens zu Lebzeiten gewähren. Auch eine signifikant unterschiedliche Vermögensverteilung kann für die Trennungslösung sprechen, da dann die Annahme eines einheitlichen gemeinsamen Vermögens erschwert ist. So kann die Auslegung auch ergeben, dass nur für einen Bruchteil des Vermögens Vor- und Nacherbschaft angeordnet wurde und z.B. ein Alleinerbe zum Teil Vollerbe, zum Teil (befreiter) Vorerbe werden kann.
Praxishinweis
Die hier dargestellten Kriterien sollen vor allem illustrieren, dass der vorschnelle Bezug auf § 2269 Abs. 1 BGB und damit die Annahme der Einheitslösung oft in die Irre führen kann. Die Tatsache, dass gerade gemeinschaftliche Privattestamente mit Wünschen, Motiven und Ermahnungen angefüllt sind, verlangt eine penible Auslegungsarbeit.