Rz. 142
Mit der Wiederverheiratungsklausel – sei es innerhalb der Einheits-, sei es innerhalb der Trennungslösung – regeln die Ehegatten ein "unwägbares Moment ihres Ordnungsplans". Der Wille der Ehegatten bei Abfassung des Testaments kann verschiedene Schwerpunkte haben. Soll das Ausschlussprinzip den Vorrang erhalten, ist lediglich wichtig, dass nach dem Wegfall des (zumindest bis zur Wiederheirat) zu versorgenden überlebenden Ehegatten der vorhandene Rest des Vermögens, das der Vor- und Nacherbschaft unterlag, an die Abkömmlinge und nicht in die Familie des zweiten Ehegatten fällt. Soll das Erhaltungsinteresse für den Nachlass Vorrang haben, also die Weitergabe im Stamm von zentraler Bedeutung sein, werden weitere Beschränkungen auf der Verfügungsbefugnis des Überlebenden lasten.
Rz. 143
Bei der Trennungslösung wird der Ehegatte von vornherein an diese Beschränkungen gebunden, da stets, sei es mit Wiederheirat, sei es mit Tod, die Nacherbschaft eintritt, er also immer Vorerbe war. Rechtlich ist diese dem Überlebenden eine einheitliche Stellung unabhängig vom Grund des Nacherbfalls zuweisende Regelung die einfacher handhabbare. In der Praxis überwiegt jedoch die vom Gesetz als "im Zweifel anzunehmende" Einheitslösung.
Rz. 144
Bei der Einheitslösung sind die rechtlichen Folgen komplizierter. Auszugehen ist zunächst von der "klassischen Lösung" der gemeinsamen wechselseitigen Erbeinsetzung mit Schlusserbeneinsetzung der Abkömmlinge. Eingesetzt ist der Ehegatte dann als Vollerbe. Heiratet er nicht, geht die Erbfolge ihren normalen Gang. Die Abkömmlinge erben als Schlusserben nur nach dem Überlebenden. Anders bei der Wiederverheiratung. In diesem Moment tritt die aufschiebend bedingte Einsetzung als Vorerbe des Ehegatten in Kraft, mit allen Konsequenzen. Alles, was bis dahin qua Verfügungsmacht möglich war, unterliegt jetzt den Beschränkungen der Vorerbschaft, von denen ggf. nicht befreit werden kann.
Rz. 145
Praxishinweis
Allerdings geht die Kommentarliteratur zu oft recht leicht über §§ 2286, 2287 BGB hinweg, die in vielen Aufsätzen nicht einmal Erwähnung finden. Die Meinung, dass die Ehegatten bis zum Eintritt der Bedingung von allen Beschränkungen, also auch von § 2311 Abs. 2 BGB, befreit sein sollen, ist mit der h.M. abzulehnen. Zu bedenken ist nur, dass die Wiederverheiratungsklausel sowohl im Erbschein ausgewiesen als auch mit entsprechendem Vermerk im Grundbuch festgehalten werden muss.
Rz. 146
Das dogmatische Spiegelbild ist die auflösend bedingte Vollerbschaft nach § 2075 BGB. Mit der Wiederverheiratung wird klar, dass der überlebende Ehegatte rechtlich nie Vollerbe, sondern Vorerbe war, während ohne Wiederverheiratung beim Tod des Überlebenden klar wird, dass die auflösende Bedingung nie eingetreten ist, er also immer Vollerbe war.
Rz. 147
Noch weiter treiben lässt sich die Dogmatik, wenn man aus Nachlasssicherungsinteresse den überlebenden Ehegatten auch bei der Einheitslösung bis zu seinem eigenen Tod als Vorerben einsetzt und erst mit dem Tod feststehen soll, dass er aufschiebend bedingt doch die ganze Zeit Vollerbe war. Hier müssen bei der gegenseitigen aufschiebenden Einsetzung mit Schlusserbeneinsetzung die Beschränkungen der Vorerbschaft beachtet werden, im Erbschein wie im Grundbuch. Diese Auffassung geht jedoch zu weit. Wenn das Sicherungsinteresse überwiegt und der Ehegatte nur Vorerbe sein soll, führt dies in die Trennungslösung. Dann gibt es keine Vollerbschaft, auch nicht in einer "juristischen Sekunde".
Rz. 148
Zuletzt muss die Folge für die eigenen wechselbezüglichen Verfügungen des Überlebenden beachtet werden, wenn er aufgrund einer Wiederverheiratungsklausel zur sofortigen Herausgabe des Nachlasses an die Nacherben verpflichtet ist. Auch hier wird alles vertreten. Die h.M. geht davon aus, dass der Vorerbe dann die Testierfreiheit wiedererlangt. Dies gilt nicht, wenn sich aus dem Testament ergibt, dass die Bindungswirkung auch für diesen Fall erhalten bleiben soll. Überlegungen, dann mit der Selbstanfechtung nach § 2078 BGB abzuhelfen, tragen nicht. Auch eine "Teilbindung" wird vertreten, zu recht jedoch als nicht praxistauglich angesehen.