Rz. 13
§ 2104 BGB regelt die sog. konstruktive Nacherbfolge. Voraussetzung ist, dass der Erblasser zwar eindeutig festgelegt hat, dass sein Erbe nur Vorerbe sein soll, es jedoch unterließ, einen Nacherben zu bestimmen. Hauptanwendungsbereich ist wohl der Fall, dass der Erblasser zu Lebzeiten im Testament den Nacherben ersatzlos streicht. Bei eigenhändigen Testamenten sind Retuschen dieser Art durchaus möglich. In diesem Fall muss zunächst der Erblasserwille ermittelt werden. Kann dies nicht geleistet werden, sind die gesetzlichen Erben des Erblassers zu Nacherben berufen, die zum Zeitpunkt des Nacherbfalles leben oder gezeugt sind. Ist der zunächst eingesetzte und dann "gelöschte" Nacherbe selbst gesetzlicher Erbe, entspricht es regelmäßig dem Willen des Erblassers, dass sowohl der Nacherbe als auch dessen Abkömmlinge nicht Nacherben nach § 2104 BGB werden sollen. Vor Anwendung des § 2104 BGB muss bei der Auslegung berücksichtigt werden, wer als konstruktiver Nacherbe in Betracht kommt. Ist z.B. in einer Ehe der einzige Sohn als Nacherbe vorgesehen und wird dieser nach Errichtung des Testaments gestrichen, so entspricht es kaum dem Willen des Erblassers, den Ehegatten durch die Berufung des Schwagers als Nacherben über § 2104 BGB zu beschränken. Der Ehegatte wird dann Vollerbe.
Rz. 14
Es wird in Literatur und Rechtsprechung auch die analoge Anwendung von § 2104 BGB diskutiert.
Beispiel
Die Eheleute A und B setzten sich in einem gemeinsamen Testament gegenseitig zu Vorerben und den Sohn C zum Nacherben ein. Der Nacherbfall soll mit der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten, spätestens jedoch mit dem Tod des Überlebenden, eintreten. C ist vor den beiden Eltern gestorben und hinterlässt zwei Kinder, die Enkel D und E. Weiterhin lebt noch die Tochter F. A stirbt.
In diesem Fall sollen nach einer Meinung dann, wenn der Vorerbe "auf jeden Fall" nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Erbe sein soll, D, E und F in entsprechender Anwendung des § 2104 BGB als Ersatznacherben eingesetzt gelten. Das ist abzulehnen. Nach § 2108 Abs. 1 BGB gilt § 1923 BGB auch für die Nacherbfolge. In diesem Beispiel gibt es keinen Nacherben über die Anwendung von § 2104 BGB. Eine Ersatznacherbeneinsetzung fehlt. Kann diese nicht im Wege der ergänzenden Auslegung als Erblasserwille festgestellt werden, gibt es auch keine analoge Anwendung des § 2104 BGB. Dies ist auch sachgerecht, weil die gesetzliche Erbin F in dem gemeinsamen Testament ausgeschlossen werden soll. Die von Weidlich vorgeschlagene Anwendung kann auch nicht mit § 2069 BGB in Einklang gebracht werden.
Beispiel
Im Fallbeispiel werden D und E über die Auslegungsregel des § 2069 BGB Ersatznacherben des C. F bleibt weiterhin außen vor. Konstruktionen, die ohne Not zu Konkurrenzen zwischen Auslegungsregeln führen, sind abzulehnen. In diesem Fall gibt es daher nur deshalb Ersatznacherben, weil C Abkömmling von A war.
Rz. 15
Beispiel
(Abwandlung, siehe Rdn 14): Der zuerst sterbende C hat keine Nachkommen. A verstirbt, B heiratet erneut.
Die Abwandlung zeigt zunächst für die Praxis, dass A und B beratungsresistent oder schlecht beraten waren, sonst hätten sie das Testament nach dem Tod des C geändert. Es gibt zwei Möglichkeiten: B wird Vollerbin und kann letztwillig frei auch über den Vermögensanteil nach A verfügen. Oder sie ist Vorerbin geworden und muss nun den Nachlass des A an die Nacherbin F herausgeben. Eine "analoge Anwendung" von § 2104 BGB macht F zur Nacherbin, wenn durch Auslegung nicht ermittelt werden kann, ob A nun die Vorerbenstellung der B oder die Enterbung der F wichtiger war. Zusätzlich komplizierter wird die Konstellation, wenn B als frisch verwitwete Erbin einen Alleinerbschein beantragt. Bekommt sie nur einen Erbschein mit Nacherbenvermerk? Soll § 2075 BGB ggf. "analog" dergestalt gelten, dass B dann in der Todessekunde Vollerbin wird, wenn sie nicht heiratet, bei Wiederverheiratung soll jedoch F Nacherbin werden?
Das Ergebnis ist nach der hier vertretenen Auffassung stets der Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1986 nachzubilden. Die Entscheidung lässt jedoch nur den Schluss zu, dass eine analoge Anwendung nicht befürwortet wird.
Rz. 16
Praxishinweis
Entweder lässt sich aus der Ermittlung des Erblasserwillens darstellen, dass B auch nach dem Wegfall des C beschränkt werden sollte, oder dies ist nicht möglich, dann wurde B Vollerbin und sie erhält schließlich einen Alleinerbschein ohne Nacherbenvermerk.
BGH: "Es kommt erfahrungsgemäß vor, dass es einem Erblasser, der seine Ehefrau zur Vorerbin und einen Abkömmling als Nacherben einsetzt, nicht nur darum zu tun ist, gerade den bestimmten Nachkommen als Nacherben zu bedenken, sondern außerdem und unabhängig davon, ob dieser als Nacherbe eintritt oder nicht, verhüten will, dass der Nachlass auf Dauer in den Händen seiner Ehefrau (und ihrer Erben) verbleibt. Einen entsprechenden Willen muss der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen aber, wie bereits das RG zutreffend erkannt hat, – sei es dur...