Rz. 176
"Nach der Lektüre wird man freilich jedem Erblasser von der Verwendung dieses Rechtsinstituts noch dringender abraten als zuvor."
Die Problematik der Vor- und Nacherbschaft liegt in der Praxis weniger in der Gestaltungsberatung als im Umgang mit privatschriftlichen Testamenten, die oft – ohne dass die Erblasser es wussten – Vor- und Nacherbschaft mit Bedingungen und Kettenanordnungen enthalten. Hier ist zunächst die akribische Auslegungsarbeit notwendig. Es gibt viele Schlupflöcher, die den anwaltlichen Berater verleiten, in Auslegungsregeln auszuweichen, bevor sichergestellt ist, ob die im Gesetz geforderten Zweifel bestehen.
Der "schlechte Ruf", der diesem Institut anhaftet, entsteht zum einen aus der Komplexität des Zusammenspiels von Auslegungsmühen und Bedingungsgeflecht, die nur schwer in eine sichere Ordnung zu bringen sind. Zum anderen ergibt sich auch für die Zeit zwischen Vor- und Nacherbfall eine Fülle von Problemen, von denen die Erteilung des richtigen und vollständigen Erbscheins und die Sorge der Grundbuchsicherung durch Nacherbenvermerke nur die auffälligsten sind. Zuletzt ist auf die steuerliche Problematik des § 6 ErbStG zu verweisen, dessen negative Auswirkungen auf stufenweise gewollte Vermögensweitergabe zu Konstrukten wie dem "Supervermächtnis" führen.
Beim Behindertentestament allerdings ist die dogmatische Konstruktion in Verbindung mit der Testamentsvollstreckung hilfreich.
Wenn sich der Mandant in der Gestaltungsberatung bei der Weitergabe des Vermögens unter Ausschluss der Familie des Schwiegerkindes in der Generationentiefe bescheiden kann, ist die Vor- und Nacherbfolge ebenfalls nützlich und praktikabel.
Für einige Lebensbereiche eignet sich dieses Konstrukt wegen der nicht möglichen Befreiung von § 2113 Abs. 2 BGB und der damit verbundenen Folge der Unwirksamkeit von teilunentgeltlichen Verfügungen nicht, auch wenn die Kautelarpraxis mit der Konstruktion des Vermächtnisses hilft, mit dem der Nacherbe zur Zustimmung zu bestimmten Maßnahmen angehalten werden kann. Letztlich wird in der Beratung des durch Vor- und Nacherbschaft beschwerten Pflichtteilsberechtigten – und das ist die große Mehrheit – nie der Hinweis auf die Möglichkeit der Ausschlagung und Geltendmachung des Pflichtteils fehlen. Im Umkehrschluss ist dies auch dem zu beratenden Testator deutlich vor Augen zu führen. Vor allem bei der befreiten Vorerbschaft ist die vage Aussicht auf einen Überrest immer weniger Grund, den Pflichtteil nicht geltend zu machen.