A. Allgemeines
Rz. 1
Die Möglichkeit, den Vermögensfluss über den Zeitpunkt des eigenen Todes hinaus zu steuern, wird in unmittelbarer Weise durch das Institut der Vor- und Nacherbschaft gewährleistet – sei es durch die explizite Einsetzung von Vor- und Nacherben (§§ 2100 BGB ff.), sei es durch die Einsetzung des Erben unter aufschiebender und auflösender Bedingung (§§ 2074, 2075 BGB). Die reichhaltige Rechtsprechung zu Testamenten von Ehegatten zeigt, dass vor allem die Sicherung des Vermögens im Stamm auf der einen und die Absicherung des überlebenden Ehegatten auf der anderen Seite durch dieses Institut zu einem Ausgleich gebracht werden sollen. Eine weitere Motivation ist die Sicherung des Vermögens vor dem Zugriff Dritter. Beratend und forensisch tätige Anwältinnen und Anwälte werden mit zwei Feldern konfrontiert: In der Gestaltungsberatung muss dem Wunsch des Mandanten um eine Vermögensweitergabe nach seinem Willen die testamentarische Konzeption entsprechen. Beim Umgang mit einem Testament, sei es im Erbscheinsverfahren, sei es bei der Auseinandersetzung, ist im Umgang mit dem letzten Willen des Verstorbenen neben exakter Sachverhaltsaufklärung, der korrekten Anwendung von Ergänzungs- und Auslegungsregeln auch die Kenntnis der prozessualen Möglichkeiten der Sicherung von Ansprüchen notwendig.
Rz. 2
Das Pflichtteilsrecht spielt sowohl bei der Beratung des Testierenden als auch bei der Beratung der Vor- und Nacherben im Zusammenhang mit der "taktischen Ausschlagung" nach § 2306 BGB eine Rolle. Der beratende Anwalt hat hier insbesondere § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA zu beachten.
Praxishinweis
Erscheinen Vor- und Nacherbe in bester Eintracht zum Beratungsgespräch in der Kanzlei, ist höchste Vorsicht geboten. Die Abklärung, welcher Beteiligte das Mandat erteilt, hat sauber zu erfolgen.
B. Anordnung der Vor- und Nacherbschaft
I. Letztwillige Verfügung
Rz. 3
Nacherbe ist, wer erst dann Erbe des Erblassers wird, wenn zuvor ein anderer Erbe war. § 2100 BGB normiert dies zu Beginn des 3. Titels des 3. Abschnitts ("Testament"). Damit wird u.a. deutlich: Eine gesetzliche Vor- und Nacherbfolge gibt es nicht, es bedarf des Testaments oder eines Erbvertrages. Auch die gesetzliche Folge der Auslegungs- und Ergänzungsregeln der §§ 2074, 2075 i.V.m. §§ 2104, 2105, 2108 Abs. 2 BGB ist kein gesetzliches Erbrecht, sondern Folge der gesetzlich vorgegebenen Auslegung einer letztwilligen Verfügung.
II. Bestimmung des Vor- und Nacherben
1. Anordnung durch den Erblasser
Rz. 4
Vor- und Nacherbe müssen grundsätzlich vom Erblasser bestimmt werden. Ein Auswahlermessen Dritter, also auch des Vorerben, existiert nicht. Dies ergibt sich aus § 2065 Abs. 2 BGB. Das BayObLG hatte mit Beschl. v. 18.3.2004 nochmals klargestellt:
Zitat
"Der Erblasser darf die Bestimmung der Person des Nacherben nicht den Vorerben überlassen (§ 2065 Abs. 2 BGB). Nur die Bezeichnung, nicht die Bestimmung der Person darf einem Dritten übertragen werden. Dann müssen aber die Hinweise im Testament so genau sein, dass den Bedachten eine jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person bezeichnen kann, ohne dass deren Ermessen auch nur mitbestimmend ist. Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Es hat darauf abgestellt, dass der Vorerbe als bestimmender Dritter angesichts der Unschärfe des Auswahlkriteriums "Geeignetheit für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes" den Nacherben nicht nur bezeichnen, sondern ihn vielmehr tatsächlich wählen könne. Das hierdurch eröffnete Auswahlermessen führt wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit der Bestimmungsklausel mit der Folge, dass es bei der im Erbschein zutreffend angegebenen Nacherbenstellung der Beteiligten verbleibt."
Rz. 5
Diese Entscheidung steht in der Linie der Entscheidung des OLG Frankfurt. Der Abschied auch von der sog. Dieterle-Klausel, nach der die (gewillkürten) Erben des Vorerben die Nacherben des Erblassers sein sollen, ist dogmatisch sauber und zu begrüßen. Der Erblasser muss den Bestan...