Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 36
Zeichnet sich ab, dass das Gericht ein Vorbringen als verspätet zurückweisen könnte, kommt zum einen in Betracht, den Richter vor Antragstellung, vgl. § 1 Rdn 1, zu fragen, wie er zu verfahren gedenkt. Das empfiehlt sich insbesondere, wenn eine Präklusion nach § 296 Abs. 2 ZPO, also wegen Verstoßes gegen die Prozessförderungspflicht in Betracht kommt. Denn dann liegt die Zurückweisung im Ermessen des Gerichts, und der Richter wird geneigt sein, das verspätete Vorbringen zu berücksichtigen, wenn er bei Androhung der Präklusion mit einer Flucht in die Säumnis rechnen muss, also die Sache sowieso nicht zum Abschluss bringen kann.
Rz. 37
Ob eine Partei das kurz vor dem Termin (und damit verspätet) schriftsätzlich angekündigte Vorbringen auch tatsächlich durch Antragstellung vorträgt, vgl. § 1 Rdn 1 ff., oder ob sie mündlich etwas vorträgt, was dem Gericht schriftsätzlich noch gar nicht mitgeteilt worden ist, muss sie nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt prüfen, was aus ihrem als verspätet zurückgewiesenen Vorbringen in der Berufungsinstanz wird.
Gemäß § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel ausgeschlossen, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind. Dabei kommt es nicht mehr darauf an, ob deren Berücksichtigung zu einer Verzögerung der Prozesserledigung in der zweiten Instanz führen würde.
Deshalb kann es sich empfehlen, wenn die hier unter Rdn 30 ff. aufgezeigten Wege zur Präklusionsvermeidung nicht greifen, in die Säumnis zu fliehen. Das heißt, die Partei verhandelt nicht und nimmt in Kauf, dass auf Antrag des Gegners Versäumnisurteil gegen sie ergeht; allerdings mit der Kostenfolge des § 344 ZPO und dem Risiko der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Versäumnisurteils ohne Sicherheitsleistung, § 708 Nr. 2 ZPO.
Beginnend mit der Zustellung des Versäumnisurteils kann der Beklagte innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen, §§ 338, 339 ZPO. In der Einspruchsschrift hat er gemäß § 340 Abs. 3 ZPO seine Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen. Der Vortrag wird dadurch zwar nicht rechtzeitig, doch verzögert er den Rechtsstreit regelmäßig nicht mehr: Infolge des Einspruchs wird ohnehin ein weiterer Termin erforderlich (§ 341 a ZPO). Eine Präklusion droht dann nur noch, wenn trotz gerichtlicher Bemühungen der Einspruchstermin bei Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens nicht zur Erledigung des Rechtsstreits genügt.
Rz. 38
Die Flucht in die Säumnis ist dem Beklagten nach der Rspr. des BGH aber dann versperrt, wenn er schon seinen Antrag auf Klagabweisung gestellt, also verhandelt hat; denn in diesem Fall soll zumindest in diesem Termin trotz des Nicht(mehr)verhandelns einer Partei kein Versäumnisurteil, sondern ein kontradiktorisches Urteil ergehen. Es wäre also kein Einspruch nach § 338 ZPO, sondern nur noch die Berufung gegeben und anders als beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil lediglich die Fortsetzung des Rechtsstreits in der nächsten Instanz möglich.
Rz. 39
Eine Flucht in die Säumnis verbietet sich für einen Beklagten auch dann, wenn gegen ihn schon ein Vollstreckungsbescheid ergangen ist und er erst über einen Einspruch gegen diesen Bescheid wieder in das Verfahren hinein gekommen war. Denn wenn er jetzt nicht verhandelt und auf den Antrag des Gegners ein Versäumnisurteil ergeht, steht dieses gemäß § 700 ZPO einem zweiten Versäumnisurteil gleich, das ebenfalls nicht mit einem Einspruch, sondern nur noch mit der Berufung angefochten werden kann (§ 345 ZPO). Diese Berufung kann obendrein nur darauf gestützt werden, dem erstinstanzlichen Gericht sei beim Erlass des Versäumnisurteils ein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 514 Abs. 2 ZPO).
Rz. 40
Wenn das Gericht auf Antrag des Gegners Versäumnisurteil erlassen hat, können mit dem Einspruch die bewusst zurückgehaltenen Tatsachen und die Beweismittel vorgetragen werden. Das Gericht muss dann zu dem auf den Einspruch hin anzuberaumenden Verhandlungstermin prozessvorbereitend den Beweisantritten nachgehen.
Aber nicht unter allen Umständen. Es ist nämlich bei der Terminierung nicht verpflichtet, Rücksicht darauf zu nehmen, dass den verspäteten Beweisantritten auch nachgegangen werden kann.
BGH MDR 1981, 309:
Zitat
Bei der Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache ist der Vorsitzende nicht verpflichtet, den Termin so weit hinauszuschieben, dass in ihm auch verspätetes Vorbringen noch in vollem Umfang ohne Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits berücksichtigt werden kann. […] Das LG war nicht verpflichtet, den Termin soweit hinauszuschieben, dass noch vorher hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden können […]
Keine Veranlassung zur Flucht in die Säumnis hat eine Partei, die dem Gericht nicht rechtzeitig zum Termin die ladungsfähige Anschrift eines Zeugen mitzuteilen vermag; das Gericht muss ihr gemäß § 356 ZPO eine Frist setzen, die Anschrift nachzureichen, vgl. auch § 5 Rdn 132.
Rz. 41
Schließlich hat der BGH für den Fall der Flucht in die...