Dr. K. Jan Schiffer, Matthias Pruns
Rz. 63
Mit dem zur Vererbung anstehenden Vermögen der Nachkriegsgeneration gewinnt nicht nur traditionelles soziales Engagement an Bedeutung, sondern etwas, was man als bürgerschaftliches Engagement beschreiben kann. Bürger setzen sich vor Ort konkret für ihr Gemeinwesen ein. Eine Auswirkung dieses Engagements vor Ort sind die sog. Bürgerstiftungen als eine Sonderform der steuerbefreiten Stiftung.
Rz. 64
Wie erfolgversprechend der Gedanke ist, zeigt sich auch darin, dass über das "reine" Modell der "Stiftung von Bürgern für Bürger" hinaus auch große Institutionen sich diesem Gedanken anschließen und Stiftungen errichten, die um Zustiftungen von Bürgern werben und die sie Bürgerstiftungen nennen.
Rz. 65
Aktuell soll es über 400 Bürgerstiftungen und zahlreiche Gründungsinitiativen geben. In Bürgerstiftungen schließen sich Menschen einer Stadt, eines Stadtteils oder einer Region zur Förderung sozialer, kultureller oder ökologischer Zwecke vor Ort zusammen. Eine größere Zahl von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen (Corporate Citizens) verfolgen ihre spezifischen Beiträge zum Gemeinwohl unter einem gemeinsamen Dach. Sie dienen dabei als ein Sammelbecken für Spenden und Zustiftungen.
Rz. 66
Stifter sind hier vielfach Bürger mit einem durchaus überschaubaren Vermögen, die ihrerseits nicht unbedingt alleine eine Stiftung errichten würden, andererseits aber dieser modernen Form der Unterstützung des Gemeinwohls aufgeschlossen gegenüber stehen. In aller Regel sind die Bürgerstiftungen operativ tätig. Neben den Geld-Spendern leisten die "Zeit-Spender" und die "Ideen-Spender" einen ganz wichtigen Beitrag zu der Arbeit der Bürgerstiftungen.
Die geführte Diskussion, welche Art von Stiftung sich "Bürgerstiftung" nennen darf und welche Merkmale eine Bürgerstiftung ausmachen, scheint bei genauer Betrachtung überflüssig, falls nicht im Einzelfall ein echter Missbrauch vorliegt, denn bei der Bezeichnung "Bürgerstiftung" handelt es sich nur um ein Schlagwort. Aus dem Schlagwort an sich sind keine rechtlichen und/oder steuerlichen Folgerungen abzuleiten. Entscheidend erscheint ohnehin nur, dass ausreichende Mittel für den gemeinnützigen Zweck der jeweiligen Bürgerstiftung aufgebracht werden. Bei genauer Betrachtung ergibt sich bei einer Bürgerstiftung aber ein grundsätzliches Problem:
Die Stiftung ist im Gegensatz zu dem eben beschriebenen Ansatz der Zusammenfassung kollektiven bürgerschaftlichen Engagements eine juristische Person ohne Mitglieder oder Gesellschafter. Es ist geradezu das Ziel einer Bürgerstiftung, möglichst viele engagierte Bürger unter ihrem Dach zu versammeln. Problematisch können Bürgerstiftungen deshalb vor allem dann werden, wenn der Kreis der Stifter so groß wird, dass sich die Rechtsfigur Stiftung tatsächlich der des Vereins annähert. Stiftergruppen von 50 und mehr engagierten Personen bei der Stiftungserrichtung und später in der "Stifterversammlung" lassen sich typischerweise nur schwer unter einen (einheitlichen) Stifterwillen fassen und noch weniger unter einen ggf. auszulegenden hypothetischen Stifterwillen. Der damalige Stifterwille bei Errichtung der Stiftung ist aber Maßstab für die staatliche Stiftungsaufsicht, denn diese dient in erster Linie dem öffentlichen Interesse an der Verwirklichung des Stifterwillens.
Rawert hat diese Problemzusammenhänge hervorgehoben und dazu mit Blick auf die hier skizzierte Besonderheit der Bürgerstiftung unter Hinweis auf Erwägungen von Richter den Gedanken betont, bei Bürgerstiftungen oder anderen Gemeinschaftsstiftungen weniger auf den damaligen Willen als Maßstab für die Stiftungsaufsicht abzustellen, sondern eher auf eine noch näher zu diskutierende Vermögens-Zweck-Beziehung.
Die Diskussion scheint hier noch ganz am Anfang, endgültige Antworten liegen noch nicht vor. Die Diskussion zeigt aber bereits, dass auf "Ausdehnungen" der Rechtsform Stiftung auf eher stiftungsuntypische Sachverhalte mit genauem Blick und differenzierten Antworten zu reagieren ist. Das zeigt auch der nächste Punkt.
Rz. 67
In den Satzungen von Bürgerstiftungen finden sich regelmäßig viele verschiedene steuerbegünstigte Zwecke, teilweise sogar der gesamte Katalog der gemeinnützigen und mildtätigen Zwecke. Nicht alle diese Zwecke werden gleichzeitig oder auch nur regelmäßig verwirklicht. Man spricht insoweit von Vorratszwecken. Solche Vorratszwecke findet man aber nicht nur bei Bürgerstiftungen, sondern auch bei "normalen" steuerbefreiten Stiftungen. Sie werden ggf. vorsorglich in die Satzung aufgenommen, weil sich eine Stiftungssatzung nicht einfach ändern lässt.
Während solche Vorratszwecke von der Finanzverwaltung bei Bürgerstiftungen erfahrungsgemäß akzeptiert werden, ist das bei "normalen" steuerbefreiten Stiftungen leider nicht (immer) der Fall. Ein solches Verbot von Vorratszwecken lässt sich aber weder steuerrechtlich noch zivilrechtlich begründen. Erst recht lässt sich insoweit auch eine Bevorzugung von Bürgerstiftungen nicht begründen,...