a) Typischer Sachverhalt
Rz. 90
In der Ehe zwischen Herrn A und Frau A gibt es seit längerem Probleme. Eines Abends kam Herr A früher nach Hause und sah das Fahrrad von Herrn B vor der Haustür. Das ganze Haus mit Ausnahme des Schlafzimmers war dunkel. Es war offensichtlich, dass Herr B bei Frau A nächtigte. Herr A war außer sich über diesen Vertrauensbruch seiner Ehefrau. Überdies schliefen auch ihre Kinder im gleichen Haus. Verzweifelt und wütend trat er gegen das Fahrrad von Herrn B. Es entstand ein leichter Sachschaden.
Herr A betrat nun das Haus und traf Herrn B mit Frau A im ehelichen Schlafzimmer. Herr B war jedoch gewarnt, weil Herr A mit lautem Getöse und Beschimpfungen die Treppe hoch gelaufen war. Als Herr A das Schlafzimmer betrat, sah er nur noch, wie Herr B aus dem Schlafzimmerfenster flüchtete. Herr A setzte ihm nach. Er forderte Herrn B auf, stehen zu bleiben. Herr B lief jedoch – laut um Hilfe rufend – davon. Herr A, der recht sportlich war, holte ihn ein und schlug ihn mit einem Staubwedel, den er zuvor reflexartig in der Küche ergriffen hatte, mehrfach auf den Kopf und das Gesäß.
Gegen Herrn A wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung eingeleitet. Zuvor hatte Herr A von sich aus die Reparaturkosten für das von ihm beschädigte Fahrrad übernommen und sich bei Herrn B persönlich entschuldigt.
In der Abwandlung hingegen hat Herr A dies nicht getan.
b) Rechtliche Grundlagen
aa) Legalitäts- und Opportunitätsprinzip
Rz. 91
Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft dem Legalitätsprinzip unterworfen. Das Legalitätsprinzip wird jedoch durch zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren durchbrochen. Faktisch tritt also in diesen Fällen das Opportunitätsprinzip in den Vordergrund. Zu unterscheiden ist zwischen den Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft ohne Zustimmungsbedürfnis des Gerichts (z.B. §§ 153 Abs. 1 S. 2, 153a Abs. 1 S. 7, 153c Abs. 1 und 2, 153d Abs. 1, 154 Abs. 1, 154a Abs. 1, 154b Abs. 1, 2 und 3, 154c, 154d, 154e StPO) und den Einstellungen, die nur mit Zustimmung des Gerichts gestattet sind (z.B. §§ 153 Abs. 1 S. 1, 153a Abs. 1 S. 1, 153b Abs. 1, 153e Abs. 1 StPO). Dabei ist weiterhin zu beachten, dass zum Teil auch die Zustimmung des Beschuldigten notwendig ist.
Rz. 92
Die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten im Vorverfahren dienen u.a. der Prozessbeschleunigung und -erledigung. Bagatellverfahren müssen nicht mehr zwangsläufig in eine aufwendige Hauptverhandlung münden. Auch für den Beschuldigten bieten sich dadurch große Vorteile: Er entgeht den Strapazen einer öffentlichen Hauptverhandlung und einer Verurteilung, obwohl ein hinreichender Tatverdacht als solches gegeben ist. Darüber hinaus werden entsprechende Einstellungen bei Erwachsenen nicht in das Bundeszentralregister oder das Fahreignungsregister eingetragen. Die Einstellungsalternativen nach §§ 153 ff. StPO sind also ein wichtiges Instrument aktiver Strafverteidigung im Vorverfahren. Auf die Kostenfolgen aus § 467 Abs. 4 und 5 StPO ist hinzuweisen.
Rz. 93
Dennoch findet die Ausweitung des Opportunitätsprinzips auch viele Kritiker: Der Staatsanwaltschaft werde mit den §§ 153 ff. StPO nämlich eine immer mächtigere Ermessenskompetenz über die Beendigung des Strafverfahrens eingeräumt. Daher erreiche sie mitunter schon die Position eines "Richters vor dem Richter".
bb) §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 StPO
Rz. 94
Mit den §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 StPO soll im Rahmen der notwendigen, aber auch gewollten Verfahrensökonomie das Strafen im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität zurückgedrängt werden. Die Einstellung des Verfahrens ist mithin eine Art verurteilungslose Friedensstiftung.
Rz. 95
Dennoch unterscheiden sich beide Einstellungsarten erheblich: Während die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO nur bei geringer Schuld anzuwenden ist und das Verfahren nach erfolgter Einstellung wieder aufgenommen werden kann, ist § 153a Abs. 1 StPO auch auf Fälle anwendbar, in denen die Schuld nicht mehr gering ist, aber die Schwere der Schuld einer Einstellung nicht entgegensteht. Die Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO wird an die Erfüllung von Auflagen oder Weisungen geknüpft. Der Gesetzgeber will demnach zwar auf Strafe und Vorbestraftsein verzichten, nicht aber auf Sanktionen. Die Einstellung nach § 153a Abs. 1 StPO ähnelt damit in gewisser Weise der Strafaussetzung zur Bewährung. Die Erfüllung der Auflagen oder Weisungen i.S.v. § 153a Abs. 1 Nr. 1–6 StPO begründet ein Verfahrenshindernis, was die endgültige Beendigung des Strafverfahrens zur Folge hat. Es handelt sich dabei gem. § 153a Abs. 1 S. 5 allerdings nur um einen beschränkten Strafklageverbrauch, da die Verfolgung wegen eines Verbre...