Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
a) Abbruch der Wahl
Rz. 330
Es ist streitig, ob und inwieweit Entscheidungen des Wahlvorstandes während der laufenden Wahl angegriffen und gerichtlicherseits korrigiert werden können. Zumindest für den Abbruch der Wahl vertritt das BAG die Ansicht, dass ein solcher nur dann durch die ArbGe – regelmäßig im Verfahren einstweiliger Verfügung – verfügt werden kann, wenn das ArbG von der voraussichtlichen Nichtigkeit der in der Durchführung begriffenen Wahl überzeugt ist (BAG v. 27.7.2011 – 7 ABR 61/10, juris). Das BAG begründet dies damit, dass – würde man die voraussichtlich sichere Anfechtbarkeit genügen lassen – verhindert würde, dass zumindest vorläufig ein Betriebsrat zustande komme, wie ihn das BetrVG vorsehe. Dies zeigten neben der Regelung des § 19 BetrVG mit der erst ex nunc wirkenden Anfechtungswirkung auch die Vorschriften der §§ 21a, 21b und 22 BetrVG, die eine möglichst vollständige Repräsentation durch Betriebsräte sicherstellen sollen (zum BAG ist der Fall – im Hauptsacheverfahren – gelangt, weil ArbG und LAG wegen gravierender Mängel bei der Bestellung des Wahlvorstandes den Abbruch der Wahl im Hauptsacheverfahren verfügt hatten). Dem sind die LAGs gefolgt (z.B. LAG Berlin-Brandenburg v. 14.12.2021 – 21 TaBVGa 1658/21; LAG Berlin-Brandenburg v. 23.11.2021 – 13 TaBVGa 1534/21; LAG Hessen v. 3.4.2014 – 9 TaBVGa 42/14; LAG Köln v. 8.4.2014 – 7 Ta 101/14; LAG Hamm v. 15.9.2014 – 13 Ta 434/14; LAG Rheinland-Pfalz v. 23.4.2015 – 2 TaBVGa 1/15; LAG Hamm v. 16.5.2014 – 7 TaBVGa 17/14; LAG Hamm v. 31.8.2016 – 7 TaBVGa 3/16, sämtlich zitiert nach juris).
Rz. 331
Nach a.A. (etwa LAG Berlin-Brandenburg v. 14.12.2021 – 21 TaBVGa 1658/21, juris; LAG Schleswig-Holstein v. 19.3.2010 – 4 TaBVGa 5/10, juris; differenzierend Fitting, § 18 Rn 32 ff. mit umfangreichen Nachweisen) – kann ein korrigierender Eingriff ins Wahlverfahren erfolgen, wenn das ArbG vom Vorliegen von Fehlern überzeugt ist, die mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer Anfechtbarkeit führen. Das Problem besteht allerdings darin, dass das Verfahren – insbesondere wenn es durch zwei Instanzen geht – zu lange dauert: Eine Abkürzung der Beschwerdefrist ist auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht vorgesehen, vorläufige Vollstreckbarkeit scheidet regelmäßig aus. Eine differenzierte Betrachtung kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn der im Wege einstweiliger Verfügung erfolgte Eingriff nicht die Gefahr birgt, dass eine betriebsratslose Zeit droht – etwa wenn die Betriebsratswahl außerhalb des Wahlzeitraums erfolgt und der bisherige Betriebsrat die Geschäfte auch noch etwas länger fortführen kann (vgl. § 22 BetrVG; LAG Nürnberg v. 30.3.2006 – 6 TaBV 19/06, juris).
b) Anträge auf Berichtigung im Wahlausschreiben
Rz. 332
Vieles spricht dafür, hier zu differenzieren. Hat der Wahlvorstand das Wahlausschreiben noch nicht erlassen, kann ihm im Wege einstweiliger Verfügung aufgegeben werden, dieses mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen – etwa wenn der Wahlvorstand von einer zu großen Zahl von zu wählenden Betriebsratsmitgliedern oder zu Unrecht von einem Gemeinschaftsbetrieb ausgehen will. Zeitlich wird dies allerdings problematisch, wenn die arbeitsgerichtliche Entscheidung nicht bis zum Erlass des Wahlausschreibens endgültig ist (regelmäßig durch Beschluss des LAG, weil gegen einstweilige Verfügungen kein Rechtsmittel zum BAG eröffnet ist).
Rz. 333
Bei Fehlern, die sich erst aus dem Wahlausschreiben selbst ergeben, kann eine Korrektur des erlassenen Wahlausschreibens wegen der darin enthaltenen gesetzlichen Fristen und zwingenden Angaben nur dann erfolgen, wenn es auf diese Fristen für die Wirksamkeit der Wahl nicht ankommen kann (z.B. bei Änderung des Ortes der Stimmenauszählung). I.Ü. müsste dem Wahlvorstand aufgegeben werden, das Wahlausschreiben mit einem bestimmten Inhalt neu zu erlassen, was zur Verschiebung des Wahlzeitpunkts führen würde. Dies wird allerdings dann in Kauf zu nehmen sein, wenn dies nicht zu einer betriebsratslosen Zeit führen würde, etwa deswegen, weil die Wahl außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitraums stattfindet und der bisherige Betriebsrat ohnehin die Geschäfte weiterführt.
Rz. 334
Entgegen der Auffassung des BAG erscheint es als geboten, eine Abwägung zwischen den drohenden Rechtsnachteilen – Länge der betriebsratslosen Zeit – und der Schwere des Fehlers sowie der Frage, wie sicher oder wahrscheinlich sich dieser Fehler auf das Wahlergebnis auswirkt, auch dann vorzunehmen, wenn durch den Abbruch für einen kurzen Zeitraum eine betriebsratslose Zeit drohen kann. Ansonsten könnte ein Wahlvorstand, der etwa durch unzutreffende Aushänge und Mitteilungen Bewerber behindert oder offenbar unzutreffend Vorschlagslisten zurückweist, Fakten schaffen, die über das gesamte Anfechtungsverfahren hin überdauern (überzeugend LAG Hamburg v. 19.4.2010 – 7 TaBVGa 2/10, juris, für den Fall, dass der Wahlvorstand nicht nur objektiv den Rahmen pflichtgemäßen Ermessens verlassen, sondern auch subjektiv vorwerfbar gehandelt, sich mit der Sach- und Rechtslage gar nicht auseinandergesetzt, diese grob verkannt od...