Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1560
Neben der Betriebsvereinbarung setzt das Gesetz auch andere Formen der betrieblichen Absprache zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat voraus (vgl. §§ 37 Abs. 6, 44 Abs. 2, 76 Abs. 2, 77 Abs. 1 BetrVG), die zusammenfassend als "Regelungsabreden" bezeichnet werden. Wenn das Gesetz eine Betriebsvereinbarung voraussetzt, können diese eine solche nicht ersetzen. Wo jedoch eine Betriebsvereinbarung nicht zulässig ist, steht das dem Abschluss einer Regelungsabrede nicht entgegen (sehr strittig, vgl. BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, juris, umfangreiche Nachweise bei Richardi/Picker, § 77 Rn 240 ff.).
Rz. 1561
Die Regelungsabrede kommt wie eine Betriebsvereinbarung zustande, also durch Vereinbarung der Betriebspartner – nach ordnungsgemäßem und wirksamem Betriebsratsbeschluss –, allerdings ist eine besondere Form nicht erforderlich.
Rz. 1562
Hinweis
Auch die Regelungsabrede setzt einen ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss voraus. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens durch den Betriebsrat ist auch für den Abschluss einer Regelungsabrede nicht ausreichend. Diese setzt zumindest eine auf Zustimmung zur Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraus (BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 75/12, juris; ähnlich LAG Hessen v. 13.3.2014 – 9 TaBV 172/13, juris).
Rz. 1563
Die Wirkungen der Regelungsabreden sind von denen der Betriebsvereinbarungen zu unterscheiden. Zwar wird mit der Regelungsabrede dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats genügt (BAG v. 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, juris). Eine normative Wirkung kommt der Regelungsabrede nicht zu. Sie bindet die Arbeitgeber und Betriebsrat lediglich schuldrechtlich und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wenn die Betriebsparteien einen solchen Rechtsgrund für Ansprüche durch Betriebsvereinbarung schaffen wollten, dann verbietet es sich, eine – hier: wegen Verstoß gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG – unwirksame Betriebsvereinbarung in eine Regelungsabrede umzudeuten (BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 12/01, juris).
Rz. 1564
Ob der Betriebsrat einen Anspruch auf Durchführung einer Regelungsabrede besitzt und gerichtlich einklagen kann, ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt (offengelassen von BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 75/12, juris; ebenso von BAG v. 11.12.2012 – 1 ABR 81/11, juris). Mehr dürfte für die Durchsetzbarkeit sprechen, wenn sich der Arbeitgeber schuldrechtlich gegenüber dem Betriebsrat zur Durchführung einer bestimmten Maßnahme verpflichtet hat. Es ist kein Grund ersichtlich, warum eine solche Vereinbarung unverbindlich sein sollte. Soweit es – das ist eine Frage der Auslegung – an einer Verpflichtung gegenüber dem Betriebsrat fehlt, besteht die Durchführungspflicht, die sich für Betriebsvereinbarungen ausdrücklich aus § 77 Abs. 1 BetrVG ergibt, dagegen nicht.
Rz. 1565
Die Kündigung der Regelungsabrede ist in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 5 BetrVG mit einer Frist von drei Monaten zulässig, wenn diese auf längere Zeit abgeschlossen und keine gesonderte Kündigungsfrist vereinbart wurde (BAG v. 10.3.1992 – 1 ABR 31/91, juris). Unabhängig hiervon kann die Auslegung der Regelungsabrede ergeben, dass sie auf einen bestimmten Zeitraum angelegt und damit befristet ist.
Rz. 1566
Nach überwiegender Auffassung entfaltet die Regelungsabrede keine Nachwirkung entsprechend § 77 Abs. 6 BetrVG (vgl. Richardi/Picker, § 77 Rn 250; GK/Kreutz, § 77 Rn 22 f. und Rn 445). Dies hat das BAG nunmehr klargestellt und seine teilweise abweichende Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, juris).
Rz. 1567
Hinweis
Das BAG begründet dies wie folgt:
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Die analoge Anwendung einer Norm verlangt nicht nur das Vorliegen einer aufgrund konkreter Umstände positiv festzustellenden planwidrigen Lücke des Gesetzes, sondern auch, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. |
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§ 77 Abs. 6 BetrVG ordnet für BVs in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eine unmittelbare Weitergeltung normativ begründeter Regelungen für AN im Betrieb an; die Vorschrift geht über die Wirkungsweise des § 4 Abs. 5 TVG hinaus. Sie erfasst auch die im Weitergeltungszeitraum neu in den Betrieb eingetretenen AN und bezweckt auch die Wahrung der Mitbestimmungsrechte. |
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Da Regelungsabreden nicht auf Arbeitsverhältnisse einwirken und erst durch den Arbeitgeber vertragsrechtlich oder durch Ausübung des Weisungsrechts durchgesetzt werden müssen, könnte eine "Weitergeltung" nur schuldrechtlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wirken; dies ordnet § 77 Abs. 6 BetrVG aber nicht an: Die dort geregelte Nachwirkung zielt auf die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und AN. |
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Die rechtliche Situation bei gekündigter Regelungsabrede unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der gekündigten ... |