Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 388
Wann diese "Betriebsidentität" gegeben ist, kann allerdings fraglich sein. Vieles spricht dafür, diesen Begriff auch für die Frage zu verwenden, wann eine "Eingliederung" und nicht eine "Zusammenfassung" i.S.d. § 21a Abs. 2 BetrVG vorliegt (Einzelheiten hoch str.). Auch in diesem Fall geht es darum, ob der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes sein Mandat behält oder ob auch dort nach Bestehen eines Übergangsmandates Neuwahlen stattzufinden haben. Für die Feststellung, ob ein Betrieb oder Betriebsteil seine "Betriebsidentität" behält, ist entscheidend, ob das betriebliche Substrat, auf das sich das Betriebsratsamt bezieht, weitgehend unverändert bleibt, ob also insbesondere ein räumlicher und funktionaler Zusammenhang mit dem Ursprungsbetrieb noch besteht (BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, juris). Es kann auf folgende Gesichtspunkte abzustellen sein (Einzelheiten bei Fischer, RdA 2005, 39, Salamon, NZA 2009, 74):
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Größenverhältnis verbleibender zu abgespaltenem Teil, |
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Beibehaltung der örtlichen Lage, |
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Beibehaltung des Betriebszweckes, |
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Beibehaltung der Betriebsorganisation, |
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Beibehaltung der Sachmittel, |
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Fortbestehen des Leitungsapparates. |
Rz. 389
Hinsichtlich des Größenverhältnisses wird vielfach darauf abgestellt, ob der verbleibende Teil (in Anlehnung an § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) durch Abspaltung oder Aufnahme zu mehr als der Hälfte der Belegschaft verbleibt (bei Abspaltung mehr als 50 % der Arbeitnehmer behält, bei Eingliederung weniger als 50 % dazu erhält). Dabei ist – anders als bei § 13 BetrVG – auf einen Vergleich zwischen dem Zeitpunkt vor und demjenigen nach der Abspaltung (Eingliederung) abzustellen. Diese Auffassung ist vorzugswürdig. Nach a.A. soll die Identität nicht gewahrt sein, wenn ein Verlust von Belegschaftsmitgliedern eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG darstellt, nach wieder a.A., wenn sich die Zahl der nach dem Vorgang zu wählenden Betriebsratsmitglieder (wären jetzt Betriebsratswahlen abzuhalten) verändern würde, nach noch a.A., wenn die bei Abspaltung verbleibende oder bei Eingliederung ursprünglich vorhandene Einheit "wesentlich größer" ist, nach anderer Meinung, wenn die kleinere Einheit "weniger als die Hälfte der größeren" aufweist oder ab einem Verhältnis von 1:5 (Einzelheiten etwa bei GK/Kreutz, § 21a Rn 24 ff. und 62; Fitting, § 21a Rn 7 ff.).
Rz. 390
Es erscheint als zutreffend, dass auch die örtliche Lage eine Bedeutung hat. Bei natürlicher Betrachtung liegt eine Identität bei Beibehaltung der örtlichen Lage näher als dann, wenn eine Einheit verlegt wird. Allerdings stehen bei der Feststellung des "Betriebsbegriffes" die organisatorischen Fragen im Vordergrund.
Rz. 391
Bedeutend erscheinen die Betriebsstrukturen. Bleiben in einem Teil die Strukturen, also die vorhandenen Abteilungen, die Organisationsebenen, der Leitungsapparat, die eingesetzten sachlichen Betriebsmittel und Kommunikationsanlagen identisch, wird jeweils nur ein Teil der Belegschaft in einem neuen Betrieb oder Betriebsteil neu zusammengefasst, dann spricht vieles auch dann für eine Betriebsidentität, wenn der ausgegliederte Bereich ziemlich groß ist.
Letztlich wird eine Abwägung aller Umstände nötig sein, wobei die Größenordnungen sowie die Aufrechterhaltung der Betriebsorganisation einschließlich des Leitungsapparates entscheidend sein dürften.
Rz. 392
Beispiel aus der Rspr.:
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LAG Nürnberg v. 4.9.2007 – 6 TaBV 31/07, juris): Hauptbetrieb mit 15 Arbeitnehmer verliert örtlich weit entfernten Betriebsteil mit neun Arbeitnehmern – für beide hatte einheitlicher Betriebsrat existiert – und erhält dafür örtlich nahen Betriebsteil mit 14 Arbeitnehmern, der dem im Hauptbetrieb verbleibenden Betriebsleiter unterstellt ist. Der Betriebsrat behält sein Vollmandat, kein Übergangsmandat für den Betriebsrat des Hauptbetriebes. |
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LAG Berlin v. 27.7.2006 – 18 TaBV 145/06, juris: "Der Umstand, dass die der Zuständigkeit des Betriebsrates unterfallenden Arbeitnehmer teilweise gewechselt haben durch die im Vergleich zur vorangegangenen Amtszeit abweichende Zuordnung von Verkaufsstellen rechtfertigt nicht die Annahme fehlender Aktivlegitimation für Ansprüche auf Unterlassung bzgl. dieser Verkaufsstellen. Denn aufgrund der mehr als 60 % verbliebenen Verkaufsstellen ist davon auszugehen, dass die Betriebsidentität nicht wesentlich beeinträchtigt ist." |
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LAG Hessen v. 6.5.2004 – 9 TaBVGa 61/04, juris: Betrieb D mit 320 Arbeitnehmern wird aufgelöst und zu einem Betrieb mit 520 Arbeitnehmern in B zusammengelegt. "Von einer Eingliederung mit Wahrung der Identität des aufnehmenden Betriebes ist auszugehen, wenn die Arbeitnehmer des aufgenommenen Betriebes in die Abteilungen des aufnehmenden Betriebes verteilt werden und dort gegebene Tätigkeiten wahrnehmen, wenn also der aufnehmende Betrieb in seiner Organisationsstruktur unverändert bleibt. Der aufnehmende Betrieb wird lediglich größer, ohne dass er tiefgreifende Veränderungen erfährt. Ob eine Eingliederung vorliegt, ist anhand des Gesamteindruckes der organisatorischen E... |