Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
a) Förderung der Berufsbildung
aa) Allgemeines
Rz. 1073
Die §§ 96 bis 98 BetrVG betreffen die Berufsbildung, der wegen der ständigen technischen und wirtschaftlichen Fortentwicklung sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber eine wichtige Bedeutung zukommt. Zweck der Vorschrift des § 96 BetrVG ist es, Arbeitgeber und Betriebsrat in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen zur Förderung der Berufsbildung anzuhalten. Es geht hierbei vor allem um den Besuch von Berufs- und Fachschulen, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien sowie Lehrgängen.
Rz. 1074
Der persönliche Geltungsbereich dieser Vorschriften bezieht sich nur auf die Arbeitnehmer, die unter das BetrVG fallen (§ 5 BetrVG), nicht aber auf leitende Angestellte (§ 5 Abs. 3 BetrVG).
bb) Begriff der Berufsbildung
Rz. 1075
Der Begriff der Berufsbildung, den das BetrVG nicht näher definiert, meint Maßnahmen der Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, wie sie in § 1 Abs. 1 BBiG genannt sind. Nach herrschender Meinung geht der Begriff der Berufsbildung des BetrVG jedoch weiter als der des BBiG und umfasst generell alle Maßnahmen, die Arbeitnehmern in systematischer, lehrplanartiger Weise Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die diese zu ihrer beruflichen Tätigkeit im Allgemeinen befähigen (BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, juris). Dazu gehören auch Managementseminare, die in zeitlich strukturierten Modulen berufsspezifische Fähigkeiten im Medienbereich und Erfahrungen für Nachwuchsführungskräfte vermitteln, die auf deren Einsatz im Berufsalltag zielen (BAG v. 30.5.2006 – 1 ABR 17/05, juris). Hierzu zählen auch Lehrgänge über Sicherheits- und Notfallregeln (BAG v. 10.2.1988 – 1 ABR 39/86, juris). Allerdings stellt eine eintägige Online-Schulung zum Datenschutz für eine Mitarbeiterin, die im Rahmen ihrer Aufgaben auch sensible Daten zu verarbeiten hat, nicht zwingend eine Berufsbildungsmaßnahme dar – es kann sich hierbei auch um eine arbeitsplatzbezogene Unterweisung handeln (LG Nürnberg v. 20.12.2018 – 5 TaBV 61/17, juris). Auf die tatsächliche Verwertung und Verwertbarkeit im Betrieb kommt es hierbei nicht an (weitere Einzelheiten vgl. Krause, in FS Ingrid Schmidt, S. 231 ff.).
Rz. 1076
Nicht unter diesen Begriff fallen die "sonstigen Bildungsmaßnahmen" (§ 98 Abs. 6 BetrVG), da ihnen die Berufsbezogenheit fehlt. Der Begriff der Berufsbildung ist auch abzugrenzen von der Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgaben und seine Verantwortung und die Art seiner Tätigkeit im Betrieb nach § 81 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Letztere setzt Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen bereits voraus (BAG v. 10.2.1988 – 1 ABR 39/86, juris).
cc) Förderungspflichten
Rz. 1077
Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 96 Abs. 1 BetrVG gemeinsam mit den für die Berufsbildung und den für die Förderung der Berufsbildung zuständigen Stellen die Berufsbildung der Arbeitnehmer zu fördern. Dabei kann der Betriebsrat verlangen, dass der Arbeitgeber den Berufsbildungsbedarf ermittelt; er hat hierbei auch die Pflicht, sich entsprechende Informationen zu verschaffen (LAG Hamburg v. 31.10.2012 – 5 TaBV 6/12, juris). Hierzu gehört gem. § 96 Abs. 2 BetrVG auch die Pflicht, darauf zu achten, dass den Arbeitnehmern die Teilnahme an den Maßnahmen der Berufsbildung ermöglicht wird, wobei auch die Belange älterer Arbeitnehmer, Teilzeitbeschäftigter und diejenigen von Arbeitnehmern mit Familienpflichten zu berücksichtigen sind. Der Betriebsrat hat hinsichtlich der Berufsbildungsmaßnahmen ein Initiativrecht ggü. dem Arbeitgeber. Ihm steht außerdem nach § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG ein Vorschlagsrecht zu, welches er bzgl. aller Fragen der Berufsbildung der Arbeitnehmer des Betriebes ausüben kann. Nach der Neufassung des § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber auf Verlangen des Betriebsrates gemeinsam mit diesem auch den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln. Damit bezieht sich das Vorschlagsrecht des Betriebsrates auch schon auf die Frage, ob die Arbeitnehmer des Betriebes mehr Berufsbildung benötigen.
Rz. 1078
Nach dem durch das BetriebsrätemodernisierungsG vom 14.6.2021 eingeführten § 96 Abs. 1a BetrVG kommt, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der Beratung über die Förderung der Berufsbildung keine Einigung erzielen, die Anrufung der Einigungsstelle in Betracht. Sie kann vom Arbeitgeber oder vom Betriebsrat angerufen werden. Die Einigungsstelle hat eine Einigung der Betriebsparteien zu versuchen – sie hat aber keine Entscheidungsbefugnis. Die neu eingeführte Bestimmung soll die Rolle des Betriebsrats in Bezug auf die notwendige Qualifizierung der Mitarbeiter stärken. Im Fall der Nichteinigung über den Einigungsstellenvorsitz und die Zahl der Beisitzer kann – trotz der fehlenden Verweisung in § 100 Abs. 1 S. 1 ArbGG – die Einigungsstelle durch das ArbG eingerichtet werden.
Rz. 1079
Individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer auf berufliche Fortbildung erwachsen jedoch aus diesen Pflichten nicht. Auch Ansprüche auf Freistellung von der Arbeitspflicht oder auf Übernahme der anfallenden Kosten können die Arbeitnehmer aus diesen Vorschriften nicht geltend machen. Die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte in Bez...