Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
a) Vertretung i.R.d. Betriebsratsbeschlüsse
Rz. 442
Der Vorsitzende des Betriebsrates vertritt den Betriebsrat gem. § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG i.R.d. von ihm gefassten Beschlüsse. Der Betriebsratsvorsitzende ist lediglich Sprachrohr des Betriebsrates. Er ist nicht Vertreter im Willen, sondern nur Vertreter in der Erklärung. Er kann nicht nach eigenem Gutdünken handeln und entscheiden, sondern der Betriebsrat trifft seine Entscheidungen grds. durch Beschlüsse des gesamten Gremiums. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Betriebsratsvorsitzende nur das wirksam ggü. dem Arbeitgeber erklären kann, was der Betriebsrat vorher wörtlich beschlossen hat. Es genügt ein Betriebsratsbeschluss, der den Rahmen für den Vorsitzenden abgesteckt hat. Aus diesem Grund soll nach zu weitgehender Entscheidung des BAG die Beschlussfassung über die Zustimmungsverweigerung nach § 99 BetrVG genügen, ohne dass zugleich ein Beschluss über die – auch rudimentäre – Begründung dieser Verweigerung gefasst werden muss (BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 32/13, juris); es besteht kein Anlass, warum der Vorsitzende den Verweigerungsgrund selbst heraussuchen können soll.
Rz. 443
Beispiele
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Schlägt eine Einigungsstelle dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat eine bestimmte Regelung vor – hier: Vereinbarung einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer im Rahmen eines Interessenausgleiches –, dann kann der Betriebsratsvorsitzende (der hier wie üblich als Beisitzer in der Einigungsstelle mitgewirkt hat) eine entsprechende Betriebsvereinbarung unterzeichnen, ohne dass er vorher nochmals im Betriebsratsgremium einen entsprechenden Beschluss herbeigeführt hat. Es genügt – ist aber auch erforderlich –, dass er sich mit seiner Erklärung und seiner Unterschrift i.R.d. vorweg vom Betriebsrat beschlossenen "Linie" gehalten hat (BAG v. 24.2.2000 – 8 AZR 180/99, juris). |
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Eine dem Vorsitzenden vom Betriebsrat erteilte Vollmacht zur Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Einleitung eines Beschlussverfahrens gegen den Arbeitgeber umfasst auch die Befugnis, eine bereits zuvor vollmachtlos im Namen des Betriebsrats vorgenommene Verfahrenseinleitung zu genehmigen (LAG Berlin-Brandenburg v. 8.5.2009 – 6 TaBV 88/09, juris). |
Rz. 444
Hinweis
Der Betriebsratsvorsitzende vertritt den Betriebsrat auch bei der schriftlichen Mitteilung über die Verweigerung der Zustimmung zu einer personellen Maßnahme, die die Person des Betriebsratsvorsitzenden betrifft und bei deren Beschlussfassung im Betriebsrat dieser Vorsitzende wegen persönlicher Betroffenheit (Befangenheit) nicht mitwirken durfte und nicht mitgewirkt hat. Nach der Beschlussfassung des Gremiums bestehen nämlich keine Entscheidungsspielräume mehr, die von Eigeninteressen beeinflusst werden könnten. Der Betriebsratsvorsitzende handelt bei der Übermittlung der Beschlüsse des Betriebsrates an den Arbeitgeber nicht als Vertreter des Betriebsrates im Willen, sondern lediglich als Vertreter in der Erklärung (BAG v. 19.3.2003 – 7 ABR 15/02, juris).
b) Kompetenzüberschreitung
Rz. 445
Überschreitet der Vorsitzende seine Kompetenz, so ist die von ihm abgegebene Erklärung für den Betriebsrat nicht bindend. Der Betriebsrat kann eine solche Erklärung gem. § 177 BGB mit Rückwirkung (§ 184 BGB) nachträglich genehmigen; diese zeitliche Rückerstreckung der Genehmigung ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn die Beschlussfassung des Betriebsrates erst nach dem für die Beurteilung eines Sachverhaltes maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt. Diese Einschränkung betrifft insb. rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, durch die dem Arbeitgeber eine Kostentragungspflicht auferlegt wird. Insofern wird die Rückwirkung durch die nach § 40 BetrVG gebotene Erforderlichkeitsprüfung begrenzt. Dies ist etwa bei der nachträglichen Beschlussfassung über eine Schulungsteilnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG der Fall (BAG v. 8.3.2000 – 7 ABR 11/98, juris). Andererseits ist die Beschlussfassung über die Bestellung eines Einigungsstellenbeisitzers nicht fristgebunden und kann noch nach Abschluss des Einigungsstellenverfahrens nachgeholt werden (BAG v. 10.10.2007 – 7 ABR 51/06, juris). Beruht die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens nicht auf einem ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats hierzu, kann auch ein solcher Beschluss nachgeholt werden, ggf. auch in zweiter Instanz. Dies gilt nur dann nicht, wenn mit einer solchen Nachholung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung die Grundlage entzogen würde, wenn das Arbeitsgericht seine Entscheidung gerade auf das Fehlen der ordnungsgemäßen Beschlussfassung gestützt hatte (BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 61/13, juris; LAG Nürnberg v. 13.6.2017 – 7 TaBV 80/16, juris).
Rz. 446
Hinweis
Ergeben sich Zweifel an der Wirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses etwa zur Einleitung eines Gerichtsverfahrens, in dem der Arbeitgeber zur Unterlassung oder Vornahme einer Handlung angehalten werden soll, sollte der Betriebsrat eine erneute Beschlussfassung bis vor der letzten mündlichen Verhandlung nachholen, in der besonders sorgfältig auf Ladung und Tagesordnung aller Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder s...