Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 552
Endet die Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes durch Abberufung, durch Ausscheiden aus dem Betrieb, durch Ausscheiden aus dem Betriebsratsamt, durch Verzicht auf die Freistellung oder aus sonstigen Gründen, gilt Folgendes: An die Stelle dieses ausgeschiedenen Mitgliedes rückt entsprechend § 25 BetrVG das auf derselben Vorschlagsliste stehende Betriebsratsmitglied automatisch nach, wenn die Wahl nicht in Mehrheitswahl (bei einer Vorschlagsliste), sondern in Listenwahl erfolgt ist. Eine Nachwahl eines einzelnen Freizustellenden durch Mehrheitsbeschluss ist in diesem Fall nicht statthaft (BAG v. 25.4.2001 – 7 ABR 26/00, juris; a.A. Richardi/Thüsing, § 38 Rn 50: kein Nachrücken möglich, Neuwahl sämtlicher Freigestellter nötig). Eine solche findet nur dann statt, wenn die betreffende Vorschlagsliste erschöpft ist und kein weiteres Betriebsratsmitglied, das in die Freistellung nachrücken könnte, mehr aufweist (zutreffend LAG Köln v. 5.8.2016 – 9 TaBV 12/16, juris). Eine Neuwahl sämtlicher freizustellender Betriebsratsmitglieder ist in diesem Fall nicht erforderlich, sondern die Freistellungsnachwahl kann auf dieses Betriebsratsmitglied beschränkt werden und mit einfacher Stimmenmehrheit erfolgen (so schon BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92, juris; BAG v. 14.11.2001 – 7 ABR 31/00, juris).
Rz. 553
Die Freistellung erfolgt üblicherweise für die gesamte (restliche) Wahlperiode des Betriebsrates. Freigestellte Betriebsratsmitglieder können aber die Freistellung niederlegen oder abberufen werden. Für die Abberufung eines einzelnen freigestellten Betriebsratsmitgliedes ist gem. § 38 Abs. 2 S. 8 BetrVG, der auf § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG verweist, eine qualifizierte Mehrheit von drei Viertel der Stimmen der Betriebsratsmitglieder erforderlich (BAG v. 29.4.1992 – 7 ABR 74/91, juris). Ein besonderer Grund für diese Abwahl ist nicht erforderlich (LAG Hamburg v. 7.8.2012 – 2 TaBV 2/12, juris). Dieser Drei-Viertel-Mehrheit bedarf es nicht bei Mehrheitswahl und auch nicht dann, wenn die freizustellenden Betriebsratsmitglieder insgesamt nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes neu gewählt werden. Durch eine solche Neuwahl treten die Neugewählten an die Stelle der früher Gewählten, ohne dass diese vorher einzeln mit qualifizierter Mehrheit abberufen werden müssten.
Hinweis
Fraglich ist, ob der Arbeitgeber verlangen kann, dass die Freistellung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds während der Freistellungszeit wieder aufgehoben und ein anderes Betriebsratsmitglied freigestellt wird, etwa wenn es für eine Schlüsselposition dringend benötigt wird. Auch wenn dies zu bejahen sein dürfte (so GK/Weber, § 38 Rn 82 m.w.N.) – der Anspruch auf Abberufung müsste gegen den Betriebsrat gestellt werden. Bis er im Hauptsacheverfahren rechtskräftig wird, wird regelmäßig viel Zeit vergehen. Praktikabel wäre eine Regelungsmöglichkeit durch Einigungsstelle entsprechend § 38 Abs. 2 S. 4 BetrVG; dies dürfte die Gesetzesauslegung aber überspannen. Eine entsprechende Anwendung von § 23 Abs. 1 BetrVG – Abberufung durch das Arbeitsgericht bei grobem Verstoß – ist nicht veranlasst.