Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1592
Die Angelegenheiten, über die die Einigungsstelle beschließen kann, müssen in die funktionale Zuständigkeit der Betriebspartner fallen. Typischerweise werden der Einigungsstelle Streitigkeiten darüber vorgelegt, wie eine Angelegenheit am zweckmäßigsten und sachgerechtesten in der Zukunft geregelt werden soll (Regelungsstreitigkeit). Rechtsstreitigkeiten unterfallen i.d.R. allein den ArbG, können aber im Wege freiwilliger Betriebsvereinbarung auch der Einigungsstelle vorgelegt werden; das Einigungsstellenverfahren ist in diesem Fall als Vorverfahren durchzuführen. Der Ausschluss des Rechtsweges zu den Gerichten für Arbeitssachen stellt aber eine nach § 4 ArbGG unzulässige Schiedsgerichtsvereinbarung dar (BAG v. 20.11.1990 – 1 ABR 45/89, juris).
Rz. 1593
Die Frage, ob im Einzelfall eine Zuständigkeit der Einigungsstelle gegeben ist, hat sie selbst zu entscheiden. Ggf. muss sie sich als unzuständig erklären und das Verfahren einstellen (BAG v. 22.1.2002 – 3 ABR 28/01, juris: Bejaht die Einigungsstelle ihre Zuständigkeit, ist dieser "Zwischenbeschluss" nicht gesondert anfechtbar; BAG v. 25.9.2012 – 1 ABR 45/11, juris: Durch einen solchen Zwischenbeschluss wird kein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis begründet oder ausgestaltet). Bejaht die Einigungsstelle trotz gleichzeitig anhängigen Gerichtsverfahrens in dieser Sache ihre Zuständigkeit, so hat sie das Verfahren fortzuführen, eine Aussetzung ist nicht erforderlich (BAG v. 22.2.1983 – 1 ABR 27/81, juris).
Rz. 1594
Die Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der Angestellten nach billigem Ermessen. Die Entscheidung ist nur insoweit der gerichtlichen Kontrolle unterworfen, als die Überschreitung der Grenzen des Ermessens binnen einer Ausschlussfrist von zwei Wochen gerichtlich geltend gemacht werden kann (§ 76 Abs. 5 S. 3 und 4 BetrVG).
Rz. 1595
Die Einigungsstelle ist bei ihrer Entscheidung an zwingendes vorrangiges Recht gebunden und kann nur das entscheiden, was auch die Betriebspartner zulässigerweise regeln können (vgl. z.B. BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, juris, zur Einführung einer Videoüberwachung; BAG v. 13.2.2007 – 1 ABR 18/06, juris, zur Kostentragungspflicht für Dienstkleidung). Sie kann Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht ohne dessen Zustimmung erweitern (BAG v. 15.5.2001 – 1 ABR 39/00, juris).
Rz. 1596
Die Einigungsstelle hat den ihr übertragenen Regelungsstreit grds. selbst vollständig und abschließend zu lösen; sie darf insb. dem Arbeitgeber keinen Spielraum zur Entscheidung im Einzelfall einräumen (BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, juris; BAG v. 11.2.2014 – 1 ABR 72/12, juris). Ein Spruch der Einigungsstelle ist unwirksam, wenn er dem Arbeitgeber die Bestimmung des persönlichen Geltungsbereichs einer Betriebsvereinbarung (hier: Pflicht zum Tragen von Dienstkleidung) überlässt (BAG v. 17.1.2012 – 1 ABR 45/10, juris). Der Arbeitgeber kann auch nicht ermächtigt werden, einen Schichtplan ohne Zustimmung des Betriebsrats bis zur Entscheidung der Einigungsstelle vorläufig durchzuführen (BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, juris). Die Einigungsstelle hat auch keine Regelungskompetenz dafür, dass der Arbeitgeber ermächtigt wird, ohne weitere festgelegte Tatbestandsvoraussetzungen das im Dienstplan ausgewiesene Dienstende ohne Zustimmung des Betriebsrats "je nach Auslastungssituation" um bis zu 30 bzw. 45 Minuten verlängern zu dürfen (BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, juris). Eine solche Regelung wäre durch Betriebsvereinbarung aber möglich.