Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 924
Das hier angesprochene Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bezieht sich auf Regelungen, die das Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer des Betriebes gestalten. Dem Betriebsrat soll die Teilhabe an der Gestaltung hieran ermöglicht werden. Nicht unter die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fallen Arbeitsanweisungen, die im Einzelfall die vertraglich geschuldete Arbeit konkretisieren (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03). Dies ist bei der in der Praxis nicht immer einfachen Abgrenzung mitbestimmungspflichtiger und mitbestimmungsfreier Tatbestände im Auge zu behalten.
Hierzu lassen sich folgende Fallgruppen (von A–Z) bilden:
Rz. 925
Alkohol am Arbeitsplatz
Regelungen über den Alkoholgenuss im Betrieb bis hin zum Erlass eines generellen Alkoholverbotes und seiner Handhabung unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrates, soweit nicht vorrangig zu beachtende Gesetze, Verordnungen oder auch UVV den Regelungsspielraum einengen oder überhaupt verschließen (BVerwG v. 5.10.1989 – 6 P 7/88; BAG v. 11.8.1993 – 10 AZR 558/92; s. zum Alkoholverbot auch § 21 Rdn 100 ff. und das Muster einer Betriebsvereinbarung, § 21 Rdn 104).
Rz. 926
Arbeitskleidung – Dienstkleidung
Ein Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat bei der "Festlegung einer Kleiderordnung" (BAG v. 1.12.1992 – 1 AZR 260/92). Dabei haben Arbeitgeber und Betriebsrat bei Regelungen über die Dienstkleidung in einer Betriebsvereinbarung den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten (BAG v. 30.9.2014 – 1 AZR 1083/12). Der Arbeitgeber darf die Arbeitnehmer nicht zu einer Kostenbeteiligung heranziehen (BAG v. 1.12.1992 – 1 AZR 260/92). Hat der Arbeitgeber das Tragen "auffälliger" Dienstkleidung angeordnet, ist von ihm auch eine entsprechende Umkleidemöglichkeit vorzuhalten. Auch hierauf bezieht sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates (BAG v. 17.1.2012 – 1 ABR 45/10). Bei der Bemessung von Umkleidezeiten für das Umkleiden im Betrieb hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht (BAG v. 12.11.2013 – 1 ABR 59/12). Verpflichten Tarifverträge die Arbeitnehmer, Dienstkleidung zu tragen, so beschränkt sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auf die Ausgestaltung der Dienstkleidung (ausführlich hierzu BAG v. 8.8.1989 – 1 ABR 65/88). Vollzieht der Arbeitgeber allein staatliche Vorschriften (etwa Hygienevorschriften), verbleibt kein Regelungsspielraum für ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Ebenfalls kein Mitbestimmungsrecht besteht bei der Frage der Teilnahmepflicht des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit an den gesetzlich vorgesehenen Mindestsitzungen des Arbeitsschutzausschusses (BAG v. 8.12.2015 – 1 ABR 83/13).
Rz. 927
Arbeitsunfähigkeit, Arztbesuche
Die nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG zulässige Anweisung des Arbeitgebers, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit unabhängig von deren Dauer generell durch eine vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorzulegende Bescheinigung nachzuweisen, betrifft eine Frage der betrieblichen Ordnung i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG eröffnet dem Arbeitgeber einen Regelungsspielraum und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates hinsichtlich der Frage, ob und wann die Arbeitsunfähigkeit vor dem vierten Tag nachzuweisen ist (BAG v.25.1.2000 – 1 ABR 3/99). Auch die Anordnung zur Verwendung von Formularen zum Arztbesuch ist mitbestimmungspflichtig (BAG v. 21.1.1997 – 1 ABR 53/96).
Rz. 928
Betriebsbuße – Abgrenzung zur Abmahnung
Eine Betriebsbuße kann als Sanktion bei einem Verstoß gegen die betriebliche Ordnung nur verhängt werden, wenn eine solche Maßnahme in einer unter Wahrung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates aufgestellten Betriebsstrafenordnung überhaupt vorgesehen ist und sie darüber hinaus unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats auch bei der jeweiligen Verhängung im Einzelfall erfolgt (grundlegend BAG v. 5.12.1975 – 1 AZR 94/74; s.a. BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88). Besteht keine allgemeine Betriebsordnung für den Betrieb, kann der Arbeitgeber bei einer Verletzung der betrieblichen Ordnung eine Buße, etwa einen Verweis, nicht wirksam verhängen, selbst dann nicht, wenn der Betriebsrat zugestimmt hat (BAG v. 5.12.1975 – 1 AZR 94/74). Da ein solcher Verstoß zugleich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt – aufgrund des Arbeitsvertrags ist auch die Beachtung der betrieblichen Ordnung geschuldet -, kann der Arbeitgeber jedoch – mitbestimmungsfrei – eine Abmahnung (vgl. § 21 Rdn 1 ff.) aussprechen (BAG v. 5.12.1975 – 1 AZR 94/74; BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 100/88). Wichtig ist es allerdings, dass der Arbeitgeber deutlich macht, dass er den besagten Verstoß nicht als gemeinschaftswidriges Verhalten gegen die betriebliche Ordnung mit einer Sanktion belegen will, sondern dass er durch die Abmahnung auf eine Pflichtverletzung hinweisen möchte und für die Zukunft bei Meidung von Konsequenzen für den Bestand oder den Inhalt des Arbeitsverhältnisses ein vertragsgerechtes Verhalten fordert (BAG v. 5.12.1975 – ...