Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 849
Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden staatlichen, tariflichen und betrieblichen Vorschriften und Regelungen durchgeführt werden. Welcher Mittel er sich dazu bedient, hat das Gesetz ihm weitgehend freigestellt. Der Betriebsrat hat allerdings in jedem Fall die Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach §§ 2 und 74 BetrVG zu beachten. Diese verlangen regelmäßig, ggf. zunächst betriebsintern auf den Arbeitgeber einzuwirken, bevor etwa Behörden oder Öffentlichkeit eingeschaltet werden, um die Durchführung der betreffenden Vorschriften zu erreichen.
Rz. 850
Das Überwachungsrecht gewährt kein zusätzliches Mitbestimmungsrecht. Es ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Tarifverträge oder Gesetze beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 40/01, juris). Es bestehen weder gerichtlich einklagbare Durchführungs- noch Unterlassungsansprüche (z.B. LAG Berlin-Brandenburg, 14.8.2012 – 7 TaBV 468/12, juris, für die tariflich geregelte Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen). Dagegen hat der Betriebsrat die Möglichkeit, die Belegschaft über die einzuhaltenden Regeln oder vorhandene Ansprüche zu informieren und – soweit der Arbeitgeber trotz Beanstandungen nicht abhilft (zur Erforderlichkeit dieser zunächst internen Beanstandung: BAG v. 3.6.2003 – 1 ABR 19/02, juris) – die zuständigen gesetzlichen Stellen oder die Gewerkschaften von den Verstößen zu informieren. Die Einhaltung der Überwachungspflichten verlangt zwingend, dass der Betriebsrat sich mit den Arbeitnehmern austauschen kann (BAG v. 8.3.2000 – 7 ABR 73/98, juris). Ggf. kann der Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben nach Nr. 1 Umfragen unter der Belegschaft durchführen, die allerdings so zu organisieren sind, dass die Betriebsabläufe nicht gestört werden (BAG v. 8.2.1977 – 1 ABR 82/74, juris; LAG Sachsen v. 15.7.2022 – 4 TaBVGa 1/22, juris: Fragebogen zum Gesundheitsschutz ohne Einverständnis des Arbeitgebers).
Rz. 851
Hinweis
Die Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 BetrVG umfasst weder das Recht noch die Pflicht des Betriebsrates, Individualansprüche der Arbeitnehmer, die sich aus den zu ihren Gunsten bestehenden Gesetzen ergeben mögen, im eigenen Namen oder als Prozessstandschafter in deren Namen gerichtlich geltend zu machen (BAG v. 10.6.1986 – 1 ABR 59/84, juris; BAG v. 24.2.1987 – 1 ABR 73/84, juris; BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 40/01, juris; BAG v. 20.5.2008 – 1 ABR 19/07, juris). Eine etwaige Geltendmachung durch den Betriebsrat bzw. dessen Vorsitzenden genügt daher auch nicht für die Einhaltung tariflicher Ausschlussfristen, wenn diese Geltendmachung nicht auf einer konkreten Bevollmächtigung durch den Arbeitnehmer beruht und ausdrücklich oder zumindest für den Arbeitgeber erkennbar in Vertretung des Arbeitnehmers erfolgt. Anträge des Betriebsrates, die die Durchsetzung von Individualansprüchen der Arbeitnehmer beinhalten, sind schon deswegen unzulässig, weil sie nicht im Beschlussverfahren geltend gemacht werden können. Hierfür würde auch die Antragsbefugnis fehlen (vgl. sehr instruktiv BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 75/88, juris). Die Vorschrift gewährt auch keine Antragsbefugnis für ein einzelnes Betriebsratsmitglied, das sich gegen die Begünstigung anderer Betriebsratsmitglieder in Vergütungsfragen wenden will (LAG Baden-Württemberg v. 13.2.2014 – 3 TaBV 7/13, juris). Auch das bloße Ermitteln einer Rechtsgrundlage für mögliche Entgeltklagen einzelner Arbeitnehmer "ins Blaue hinein" ist nicht Teil der Überwachungsbefugnisse; diese sind auf die Durchführung von Arbeitnehmerschutzregelungen gerichtet (BAG v. 26.9.2017 – 1 ABR 27/16, juris, mit der Abweisung des Begehrens des örtlichen Betriebsrats, in die Gehaltslisten der Arbeitnehmer anderer Betriebe Einsicht zu nehmen, um zu ermitteln, ob der unternehmensbezogene Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt ist).
Rz. 852
Die Überwachungsaufgabe geht auch dann nicht auf den Gesamtbetriebsrat über, wenn dieser im Rahmen seiner Zuständigkeit eine Angelegenheit geregelt hat; § 50 Abs. 1 BetrVG eröffnet die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nämlich nur für "Regelungen"; bei einer Überwachung kommt eine derartige Regelung aber nicht in Betracht (so ausdrücklich BAG v. 20.12.1988 – 1 ABR 63/87, juris). Das Überwachungsrecht des Einzelbetriebsrats mit der Folge von Auskunftsansprüchen bei Zielvereinbarungen soll selbst dann bestehen, wenn der Gesamtbetriebsrat diesbezüglich eine Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen hat (LAG Köln v. 12.8.2016 – 4 TaBV 3/16, juris). Die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats ist vorrangig gegenwarts- und zukunftsbezogen. Sie soll den Arbeitgeber im Einzelfall zu künftiger Rechtsbefolgung anhalten. Ein vergangenheitsbezogener Auskunftsanspruch ist nur begründet, wenn sich aus Auskünften über bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit Rückschlüsse für sein derzeitiges und künftiges Verhalten zi...