Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 829
Wie dargestellt gilt die Theorie nicht für die bloße Vereinbarung oder Änderung von Verträgen. Sie erfasst also nicht den Einstellungsvertrag: Der Abschluss des Vertrages ist auch ohne die Einhaltung von Mitbestimmungsrechten wirksam. Ob aus Entscheidungen des 1. Senats des BAG mit Formulierungen wie "die Vergütungsabrede gilt nicht" und "eine Maßnahme, die der notwendigen Mitbestimmung entbehrt, ist rechtswidrig und unwirksam. Dies gilt sowohl für einseitige Maßnahmen … als auch für einzelvertragliche Vereinbarungen" (BAG v. 2.3.2004 – 1 AZR 271/03, juris) anderes geschlossen werden kann, ist nicht abschließend geklärt (ähnlich BAG v. 22.10.2014 – 5 AZR 731/12, juris: "führt die Verletzung von Mitbestimmungsrechten im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedenfalls zur Unwirksamkeit von Maßnahmen und Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten. Dies soll verhindern, dass der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht"; vorsichtiger jetzt BAG v. 24.1.2017 – 1 AZR 772/14, juris, und BAG v. 25.4.2017 – 1 AZR 427/15, juris, und BAG v. 23.1.2018 – 1 AZR 65/17, juris: Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung "wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten"; von Unwirksamkeit der vertraglichen Abmachung ist hier nicht mehr die Rede).
Rz. 830
Führt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats Maßnahmen durch, die eine Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze bewirken (hier: Widerruf des Anspruchs auf Weihnachtsgeld für eine Arbeitnehmergruppe), dann kann ein Arbeitnehmer "in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung" bei einer unter Verstoß des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der bisherigen Entlohnungsgrundsätze fordern (BAG v. 24.1.2017 – 1 AZR 772/14, juris). Soweit das BAG anführt, diese Entlohnungsgrundsätze müssten mitbestimmungsgemäß eingeführt worden sein, erscheint dies als sehr weitgehend (hier: Einführung 2008, Widerruf 2012); zutreffend ist aber, dass die bloße Hinnahme einer mitbestimmungswidrigen Handlung des Arbeitgebers durch den Betriebsrat keine Mitbestimmung darstellt, weil diese eine auf die Zustimmung zur Maßnahme gerichtete Beschlussfassung und deren Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraussetzt (BAG v. 5.5.2015 – 1 AZR 435/13, juris); jedenfalls ist eine vor erstmaliger Wahl des Betriebsrats eingeführte Entlohnung als "mitbestimmungsgemäß" in diesem Sinn anzusehen (ausdrücklich BAG v. 23.8.2017 – 10 AZR 136/17, juris, in einer Konstellation, in der der Arbeitgeber vor der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats eine nach billigem Ermessen festzulegende Sonderzahlung eingeführt hatte)
Rz. 831
Hinweis
Zumindest hinsichtlich solcher Vereinbarungen, die nicht zum Zweck der Umgehung des Mitbestimmungsrechtes geschlossen worden sind, spricht vieles dafür, dass diese Vereinbarungen – im Fall des BAG: Änderung der Vergütungsform für neu eingestellte Arbeitnehmer – wirksam bleiben, aber nicht durchgeführt werden können, solange der Betriebsrat einer solchen Änderung der Vergütungsordnung nicht zugestimmt hat. Eine Begründung, warum auch die Vereinbarung als solche unwirksam sein soll mit der Folge, dass bei einer nachfolgenden Zustimmung des Betriebsrates diese Vereinbarungen keinen Wert haben sollen, erschließt sich nicht. Anderes kann allerdings für Vertragsbestandteile gelten, die als solches ausdrücklich unter den Schutz der Mitbestimmung gestellt sind und deren Wirksamkeit oder Unwirksamkeit allein im Zeitpunkt der Abmachung geprüft wird und feststehen muss (BAG v. 20.2.2002 – 7 AZR 707/00, juris; BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 214/07, juris, für eine Befristung ohne vorherige Zustimmung des Personalrats, weil nach LPVG NRW Befristungen der Zustimmung bedürfen; für die Unwirksamkeit einer wegen § 65 Abs. 2 Nr. 4 NPersVG mitbestimmungswidrig vereinbarten Befristung auch LAG Niedersachsen v. 17.3.2021 – 2 Sa 338/20, juris, BAG v. 2.6.2022 – 7 AZR 232/21 im Ergebnis bestätigt, allerdings mit zu weitgehender Begründung, die unterbliebene Mitbestimmung führe "zur Unwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften, die den Arbeitnehmer belasten").