Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 544
Die Wahl der freizustellenden Mitglieder erfolgt durch Mehrheitswahl, wenn nur ein Mitglied freizustellen ist (§ 38 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG). Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist in diesem Fall die "einfache Stimmenmehrheit" ausreichend, eine absolute Mehrheit oder die Stimmen der Mehrheit der Anwesenden (§ 33 BetrVG) also nicht erforderlich.
Rz. 545
Ansonsten erfolgt die Wahl – wie diejenige des Betriebsausschusses – über Vorschlagslisten. Ähnlich wie bei der Ausschussbesetzung nach § 27 BetrVG ist auch hier entgegen den Vorstellungen des RegE zum BetrVG 2001 die Verhältniswahl in letzter Minute beibehalten worden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass i.d.R. mehrere Vorschlagslisten für Freistellungen eingereicht werden, auf denen nur ordentliche Betriebsratsmitglieder stehen können. Sind mehrere Wahlvorschlagslisten vorhanden, so hat jedes Betriebsratsmitglied nur eine Stimme, die es auf eine der Listen vergeben kann. Die Verteilung der Freistellungen auf diese Wahlvorschläge ist nach dem d’Hondtschen Höchstzahlensystem vorzunehmen (Einzelheiten vgl. oben bei den Ausführungen zur Betriebsratswahl). Ist nur eine Vorschlagsliste eingereicht, dann erfolgt die Bestimmung nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl: Jedes Betriebsratsmitglied hat dann so viele Stimmen, wie Freistellungen erfolgen.
Rz. 546
Nach § 38 Abs. 1 S. 3 BetrVG können Freistellungen auch in Form von Teilfreistellungen erfolgen. Ein gesonderter Beschluss des Betriebsrats darüber, dass diese Möglichkeit genutzt werden soll, ist nicht erforderlich (BAG v. 24.3.2021 – 7 ABR 6/20, juris; a.A. weiterhin Fitting, § 38 Rn 13 mit weiteren Nachweisen). Allerdings wird man davon ausgehen können, dass ein entsprechender Beschluss des Betriebsrats, das Freistellungskontingent im Wege von Teilfreistellungen mit bestimmtem Umfang ausfüllen zu wollen, möglich ist, allerdings nicht dahingehend, dass die Teilfreistellung eine bestimmte Mindeststundenzahl umfassen muss (a.A. wohl Fitting, a.a.O.). Würde man dies zulassen, könnte das Betriebsratsgremium die Freistellung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder verhindern. Denkbar wäre allerdings ein Beschluss, der festlegt, dass alle Freigestellten mit einem Volumen von 50 % freigestellt werden sollen.
Rz. 547
Gibt es keinen entsprechenden Beschluss des Betriebsrats, können und müssen demgemäß Listenvorschläge innerhalb des Betriebsrats für die Freistellungswahl selbst den zeitlichen Umfang enthalten, für die auf der Liste stehenden Bewerber freigestellt werden sollen. In diesem Fall müsste dieser Listenvorschlag beim folgenden auf der Liste stehenden Bewerber angeben, dass dieser mit dem restlichen Stundenvolumen einer Vollfreistellung kandidiert. Dies kann allerdings nicht dergestalt erfolgen, dass auf der Freistellungsposition zwei Bewerber gleichrangig als Paar kandidieren – das widerspricht dem in § 38 Abs. 2 BetrVG vorgeschriebenen Wahlverfahren und verhindert ein Nachrücken bei Ausscheiden eines dieser Freigestellten (BAG v. 24.3.2021 – 7 ABR 6/20, juris).
Rz. 548
Die Sitzverteilung erfolgt dennoch nicht nach auf Köpfe bezogenen Höchstzahlen, weil dies zu einer Benachteiligung derjenigen Freistellungsliste führen würde, die die Teilfreistellungen vornehmen will (LAG Baden-Württemberg v. 25.4.2013 – 21 TaBV 7/12, juris, vom BAG v. 24.3.2021, a.a.O., in Rn 33 als "mit Recht" bezeichnet, s. auch Rdn 546). Man wird davon ausgehen können, dass im Falle des Ausscheidens eines dieser Teilfreigestellten das auf derselben "Freistellungsliste" aufgeführte nächste Betriebsratsmitglied im noch offenen Umfang des Freistellungskontingents nachrückt.
Rz. 549
Hinweis
Auch bei der Frage, ob die Staffel im Wege von Teilfreistellungen ausgeschöpft werden soll, sind diese Grundsätze des in der Verhältniswahl liegenden Minderheitenschutzes zu beachten. Unzulässig ist es daher – mit Blick auf die erwarteten Mehrheitsverhältnisse bei verschiedenen Vorschlagslisten – festzulegen, dass etwa die zweite Freistellung nur als Teilfreistellung zu 50 % erfolgen soll mit der Folge, dass die Mehrheitsfraktion im Betriebsrat die Vollfreistellung erwarten kann, die Minderheitenfraktion mit der zweiten Höchstzahl die Teilfreistellung, dann die Mehrheitsfraktion mit der dritten Höchstzahl wieder eine Vollfreistellung oder eine zusätzliche Teilfreistellung. Würde man es dem Betriebsrat gestatten, vorweg zu entscheiden, ob voll, zu 75 %, zu 50 % oder zu 33 % freigestellt werden soll, und dann jeweils getrennte Abstimmungen durchzuführen, könnte der vom Gesetz gewollte Minderheitenschutz ebenfalls unzulässig beeinträchtigt werden. Es dürfte daher folgende Lösung vorzuziehen sein: Der Betriebsrat legt für alle Freizustellenden eine gewisse Freistellungsquote fest, etwa 50 %. Dann sind die Grundsätze des Minderheitenschutzes nicht verletzt. Wenn er dies nicht macht und Freistellungen mit unterschiedlichen Prozentanteilen erfolgen sollen, muss gewährleistet werden, dass auf jede Liste die Teilfreistellungen so verteilt werden, wie es...