Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
aa) Krankheit, Urlaub, Elternzeit
Rz. 476
Als Verhinderungsfall gilt nur ein objektiver Umstand, d.h. das Mitglied kann nicht an der Sitzung teilnehmen, selbst wenn es wollte. Kein Verhinderungsfall liegt vor, wenn das Betriebsratsmitglied aus persönlichen Beweggründen von einer Amtsausübung Abstand nimmt. Es besteht nicht die Möglichkeit, den Vertretungsfall willkürlich herbeizuführen und sich durch ein Ersatzmitglied vertreten zu lassen. Der Vorsitzende hat zu prüfen, ob im Hinblick auf die ihm unterbreiteten Hinderungsgründe tatsächlich eine Verhinderung gegeben ist (BAG v. 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, juris; LAG Sachsen v. 15.11.2002 – 10 Sa 725/01, juris).
Rz. 477
Dies wird bei Krankheit und Urlaub unterstellt (BAG v. 8.9.2011 – 2 AZR 388/10, juris; BAG v. 5.9.1986 – 7 AZR 175/85, juris; LAG Schleswig-Holstein v. 26.5.2005 – 4 TaBV 27/04, juris; LAG Düsseldorf v. 6.1.2004 – 6 Sa 1387/03, juris), sodass der Ersatzfall bereits dann eintritt, wenn das Betriebsratsmitglied wegen Krankheit oder Urlaub nicht zur Arbeit erscheint. Der Eintritt des Ersatzmitglieds in den Betriebsrat vollzieht sich automatisch mit Beginn des Verhinderungsfalles. Er ist unabhängig davon, ob das Betriebsratsmitglied Betriebsratstätigkeiten entfaltet oder ob überhaupt solche Tätigkeiten anfallen (BAG v. 8.9.2011 – 2 AZR 388/10, juris). Das Ersatzmitglied tritt jedoch dann nicht ein, wenn es selbst in der fraglichen Zeit verhindert ist (anderes gilt nach LAG Hamm v. 15.4.2016 – 13 Sa 1364/15, juris, allerdings, wenn das Ersatzmitglied zur Sitzung geladen und auch erschienen ist, obwohl es wegen persönlicher Betroffenheit eigentlich verhindert war und dies in der Sitzung dann auch festgestellt worden ist; vgl. auch Rdn 489). Zeigt ein Betriebsratsmitglied dem Vorsitzenden jedoch an, dass es trotz Abwesenheit wegen Krankheit, Urlaub oder Elternzeit seine Betriebsratstätigkeit durchführen möchte, ist dies zu berücksichtigen; ein Fall der Verhinderung liegt dann nicht vor (BAG v. 25.5.2005 – 7 ABR 45/04, juris bei Elternzeit; LAG Schleswig-Holstein v. 26.5.2005 – 4 TaBV 27/04, juris; LAG Berlin v. 1.3.2005 – 7 TaBV 2220/04, juris). Dies gilt auch, wenn das als verhindert betrachtete Betriebsratsmitglied überraschend zur Sitzung erscheint. In diesem Fall muss das Ersatzmitglied die Sitzung wieder verlassen. Dies gilt allerdings nicht für ein arbeitsunfähig krankgeschriebenes nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied, das immer als verhindert anzusehen und daher auch nicht an der Sitzungsteilnahme berechtigt ist (BAG v. 28.7.2020 – 1 ABR 5/19).
Rz. 478
Hinweis
Verhindert ist ein Betriebsratsmitglied auch dann, wenn es – vor Beginn des Sonderkündigungsschutzes oder mit Zustimmung des Betriebsrats – gekündigt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn es – nicht rechtskräftig – den Kündigungsprozess in erster Instanz gewonnen hat. Anders ist dies, wenn das Instanzgericht einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung während der Dauer des Prozesses zuerkannt hat und dieser auch wahrgenommen wird (LAG Köln v. 27.7.2011 – 9 TaBVGa 2/11, juris). Im Fall einer außerordentlichen Kündigung ist ebenfalls von einer Verhinderung auszugehen, soweit die Kündigung nicht – jedenfalls wegen fehlender Zustimmung des Betriebsratsgremiums nach § 103 Abs. 1 BetrVG, aber auch in sonstigen Fällen – offensichtlich unwirksam ist (LAG Hamm v. 23.6.2014 – 13 TaBVGa 20/14, juris).
bb) Freizeit und Nachtschicht
Rz. 479
Die Tatsache, dass ein Betriebsratsmitglied während der Sitzungszeit keine Arbeitszeit hat – etwa weil es in Nachtschicht beschäftigt ist oder weil es an diesem Tag laut Dienstplan seinen freien Tag hat –, führt nicht zu einer Verhinderung dieses Mitgliedes (BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, juris; LAG Hamm v. 4.2.2005 – 13 TaBV 126/04, juris; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, juris). Vielmehr kann es an der Sitzung teilnehmen und aus diesem Grund die Nachtschicht entsprechend früher verlassen oder an der Sitzung außerhalb seiner Arbeitszeit teilnehmen und zusätzlich Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG beanspruchen. Könnte das Betriebsratsmitglied – etwa bei Beschäftigung in Nachtschicht und Teilnahme an in der Tagschicht angesetzten Betriebsratssitzung – seine Ruhezeiten nicht einhalten, entfällt die Arbeitspflicht, soweit erforderlich, an Teilen der Nachtschicht; das Entgelt ist in derartigen Fällen für die ausgefallenen Zeiträume fortzuzahlen (BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, juris).
Rz. 480
Entgegen früherer Rechtsprechung kann bei Betriebsratstätigkeit außerhalb der eigentlichen persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds, die zu einem Anspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG auf Freizeitausgleich führt, nicht diejenige Vergütung verrechnet werden, die das Betriebsratsmitglied erhält, obwohl es wegen der Arbeitszeitbegrenzung auf zehn Stunden oder der einzuhaltenden Ruhezeit von elf Stunden in bestimmten Zeiträumen nicht gearbeitet hat. Der Ausgleichsanspruch soll verhindern, dass Betriebsratsmitglied, die aus betriebsbedingten Gründen ihr Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchführen könne...