Rz. 1317

In all diesen Verfahrensabschnitten geht es nicht nur um das "Ob" einer Betriebsänderung (bspw. einer Betriebsstilllegung), sondern auch um die Modalitäten, also um das "Wie", mithin insb. um die Zeitpunkte, zu denen Kündigungen ausgesprochen werden und um etwaige Freistellungen, d.h. um die vollständige sofortige Betriebsstilllegung einerseits, die zeitlich gestreckte Stilllegung des Betriebes andererseits. Der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, auf die endgültige Entscheidung des Unternehmers im Interesse der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer einzuwirken, bevor der Unternehmer vollendete Tatsachen schafft (BAG v. 9.7.1985, NZA 1986, 100 = DB 1986, 279). Hat der Unternehmer den Betrieb tatsächlich schon stillgelegt, ohne dass der Betriebsrat ordnungsgemäß eingeschaltet war, ist eine Mitwirkung im Verfahren über den Interessenausgleich sinnlos geworden (Berscheid, WiPra 1996, 370, 373). Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber das Verfahren durchgeführt hat, bevor er mit der Maßnahme begonnen hat. Er beginnt mit der Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft (BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 = EzA § 125 InsO Nr. 2). Eine Stilllegung beginnt, wenn er unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift; dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zweck der Stilllegung kündigt (BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 16/02, NZA 2003, 665 = DB 2003, 618). Dagegen stellen die Einstellung der Produktion ohne Veräußerung von Betriebsmitteln ebenso wie die Freistellung des überwiegenden Teils der Arbeitnehmer ohne Kündigung keine unumkehrbare Maßnahme und damit keinen Beginn der Betriebsänderung dar (BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, NZA 2006, 1122 = DB 2006, 1851 = BB 2006, 1745).

 

Rz. 1318

 

Hinweis

Vor Durchführung einer Maßnahme, die eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG sein könnte, können Arbeitgeber und Betriebsrat vor Anrufung der Einigungsstelle in einem Beschlussverfahren klären, ob die geplante Maßnahme Beteiligungsrechte des Betriebsrates auslöst. Dies stellt wegen der Dauer des Verfahrens in der Praxis allerdings nur selten eine realistische Alternative dar. Stellt das Gericht fest, die geplante Maßnahme löse keine Beteiligungsrechte des Betriebsrates aus (der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, einen Interessenausgleich zu versuchen und einen Sozialplan aufzustellen), sind die Gerichte in späteren Verfahren, in denen ein Arbeitnehmer einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG fordert, an diese Entscheidung gebunden (BAG v. 10.11.1987 – 1 AZR 360/86, NZA 1988, 287 = DB 1988, 609 = BB 1988, 842).

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