Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1320
Die Regelungen der §§ 111 bis 113 BetrVG finden auch in Insolvenzverfahren Anwendung, allerdings gilt die Vorschrift des § 112 BetrVG im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmers nur mit der Maßgabe, dass dem Verfahren vor der Einigungsstelle lediglich dann ein Vermittlungsversuch des Vorstands oder benannten Bediensteten der BA vorangeht, wenn der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat gemeinsam um eine solche Vermittlung ersuchen (§ 121 InsO).
Rz. 1321
Der Gesetzgeber hat die Fristen für den Interessenausgleich für das Insolvenzverfahren auf 3 Wochen abgekürzt (§ 122 Abs. 1 S. 1 InsO). Erscheint dem Insolvenzverwalter die Anrufung der Einigungsstelle insb. wegen des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG zu langwierig, kann er gem. § 122 Abs. 1 InsO die Zustimmung des ArbG zur Betriebsänderung ohne Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens beantragen (vgl. Einzelheiten Schrader, NZA 1997, 70, 72 f.; Uhlenbruck/Berscheid, §§ 121, 122 InsO Rn 62 ff.), wenn nicht
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innerhalb von drei Wochen nach tatsächlichem Verhandlungsbeginn oder |
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innerhalb von drei Wochen nach schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen |
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ein Interessenausgleich nach § 112 BetrVG zustande kommt. |
Rz. 1322
Hinweis
Bei schriftlicher Aufforderung zu Verhandlungen kommt es für den Lauf der Frist nicht (mehr) auf den tatsächlichen Verhandlungsbeginn an, jedoch kann sich der Insolvenzverwalter den Verhandlungen nicht durch ständig neue Terminvorstellungen verweigern. Andererseits wird durch die alternative Antragsvoraussetzung, dass nämlich innerhalb von 3 Wochen nach entweder tatsächlichem Verhandlungsbeginn oder aber schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nicht zustande kommt, sichergestellt, dass der Betriebsrat im Insolvenzverfahren nicht – wie bislang möglich – "auf Zeit spielt" (Schrader, NZA 1997, 70, 73), indem er sich den Interessenausgleichsverhandlungen völlig entzieht oder zunächst ein mehrmonatig dauerndes Bestellungsverfahren gem. § 76 Abs. 2 S. 2 und 3 BetrVG anstrengt.
Rz. 1323
Die Verpflichtung zur Unterrichtung des Betriebsrates und zur Verhandlung mit ihm ergibt sich bereits aus § 111 S. 1 BetrVG. Durch die Wiederholung der Verpflichtung, den Betriebsrat "rechtzeitig und umfassend" zu unterrichten (§ 122 Abs. 1 S. 1 InsO), wird sichergestellt, dass der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 122 InsO nicht am Betriebsrat vorbei betreiben kann. Tritt der Insolvenzverwalter – und diese Thematik ist von besonderer Bedeutung – in die vom Arbeitgeber (Schuldner) oder vom vorläufigen Insolvenzverwalter begonnenen Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsrat ein oder beginnt er erstmals diese Verhandlungen, so ist für ihn nunmehr nur noch die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 S. 1 InsO maßgebend (Berscheid, ZIP 1997, 2206, 2207).
Rz. 1324
Kommt bei einer geplanten Betriebsänderung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat der Interessenausgleich nach § 112 BetrVG nicht innerhalb dieser verkürzten Frist zustande, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, so kann der Insolvenzverwalter gem. § 122 Abs. 2 S. 1 InsO die arbeitsgerichtliche Zustimmung dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer die alsbaldige Durchführung der Betriebsänderung erfordert (dazu Löwisch, RdA 1997, 80, 85; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rn 402 ff.; Uhlenbruck/Berscheid, §§ 121, 122 InsO Rn 75, 76).