Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 976
Der Zweck des dem Betriebsrat in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeräumten Mitbestimmungsrechtes liegt darin, die Arbeitnehmer vor den Überwachungsmethoden zu schützen, die sich für ihr Persönlichkeitsrecht aus dem Einsatz anonymer technischer Kontrolleinrichtungen ergeben können. Mitbestimmte Regelungen auf diesem Gebiet müssen folgerichtig geeignet sein, diesen Gefahren zu begegnen (BAG v. 30.8.1995 – 1 ABR 4/95). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates greift also immer ein, wenn Leistung und Verhalten der Arbeitnehmer – ohne dass es auf eine strikte Abgrenzung beider Begriffe ankommt – durch eine technische Einrichtung überwacht werden können (BAG v. 11.3.1986 – 1 ABR 12/84). Aus der eingangs beschriebenen Zweckbestimmung des dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeräumten Mitbestimmungsrechts leitet das BAG her, es widerspreche der Abwehrfunktion des Mitbestimmungsrechtes, dem Betriebsrat für die Einführung technischer Kontrolleinrichtungen ein Initiativrecht zuzugestehen (BAG v. 28.11.1989 – 1 ABR 97/88). Folgt man dieser Sichtweise, besteht auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, wenn sich der Arbeitgeber dazu entschließt, eine technische Kontrolleinrichtung abzuschaffen (BAG v. 28.11.1989 – 1 ABR 97/88).
Rz. 977
Die in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG angesprochenen technischen Einrichtungen sind bereits dann dazu bestimmt, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, wenn sie objektiv und unmittelbar hierzu geeignet sind. Nicht entscheidend ist, ob der Arbeitgeber geradezu ein Überwachungsziel verfolgt und die vermittels der technischen Einrichtung gewonnenen Daten auch tatsächlich auswertet (BAG v. 9.9.1975 – 1 ABR 20/74). Andererseits unterliegen Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen dann nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates, wenn sie unmittelbar noch gar nicht für Überwachungszwecke eingesetzt werden können, sondern ein Überwachungseffekt überhaupt erst durch eine zusätzlich erforderliche Aufbereitung erzielt werden kann (BAG v. 9.9.1975 – 1 ABR 20/74). Der Arbeitgeber wendet ein technisches Überwachungssystem i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch an, wenn er im Einvernehmen mit einem Dritten seine Arbeitnehmer anweist, sich der Überwachung durch dessen technische Einrichtung – z.B. Personalschleuse mit sog. Fingerprint-Scanner – zu unterwerfen (BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03).
Rz. 978
Zu den technischen Einrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gehören typischerweise maschinelle Arbeitszeiterfassungssysteme. Aus der älteren Rspr. des BAG sind daneben folgende Beispiele, in denen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG angenommen wurde, erwähnenswert:
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die Verwendung von Multimoment-Filmkameras, die in regelmäßigen Abständen Aufnahmen von Arbeitsplätzen machen (BAG v. 14.5.1974 – 1 ABR 45/73); |
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die Verwendung von Fahrtenschreibern, falls für die betreffenden Fahrzeuge nicht bereits eine solche Verwendung gesetzlich vorgeschrieben ist (BAG v. 10.7.1979 – 1 ABR 50/78); |
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die Verwendung einer Filmkamera, mit der kurzzeitige Filmaufnahmen der einzelnen Arbeitsplätze von vier bis 12 Minuten Dauer gemacht werden (BAG v. 10.7.1979 – 1 ABR 97/77). |
Rz. 979
In der neueren Rspr. des BAG geht es angesichts der immer weiter um sich greifenden Ausstattung der Arbeitsplätze mit Geräten der elektronischen Datenverarbeitung verständlicherweise vielfach um Abgrenzungsfragen bei IT-gestützten Arbeitsvorgängen. Das BAG hatte in einer umfangreichen Entscheidung v. 6.12.1983 (1 ABR 43/81) folgenden wichtigen höchstrichterlichen Ls. aufgestellt: Datensichtgeräte i.V.m. einem Rechner sind i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dann zur Überwachung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer bestimmt, wenn aufgrund vorhandener Programme Verhaltens- und Leistungsdaten ermittelt und aufgezeichnet werden, die bestimmten Arbeitnehmern zugeordnet werden können; unabhängig davon, zu welchem Zweck diese Daten erfasst werden. In einer Entscheidung hat das BAG ausgeführt, ein datenverarbeitendes System ist zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer bestimmt, wenn es individualisierte oder individualisierbare Verhaltens- oder Leistungsdaten selbst erhebt und aufzeichnet, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die erfassten oder festgehaltenen Daten auch auswerten oder zu Reaktionen auf festgestellte Verhaltens- oder Leistungsweisen verwenden will (BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06). Ein Profil auf einer Social-Media Website kann ggf. mitbestimmungspflichtig sein (vgl. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15).
Rz. 980
Die Einführung einer Videoüberwachung im Betrieb ist nach der Rspr. des BAG nicht grds. ausgeschlossen, denn aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG folgt die Möglichkeit hierzu. Unabhängig davon, ob der damit verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer im Einzelfall nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist, steht dem Betriebsrat bei der Durchführung der Videoüberwachung jedenfalls ein Mitbestimmungsr...