Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 728
Der Betriebsrat ist gem. § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG verpflichtet, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen. Es haben daher nach der gesetzlichen Regelung grds. in jedem Jahr regelmäßig mindestens vier Betriebsversammlungen stattzufinden. Häufig wird dies mangels ausreichender Themen nicht einzuhalten sein. Dies wird zumindest so lange unproblematisch, auf keinen Fall aber eine Pflichtverletzung darstellen, solange die Arbeitnehmer die Einberufung einer solchen Betriebsversammlung nicht verlangen und solange wenigstens zwei Versammlungen jährlich stattfinden (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 BetrVG: Auch nach dem Gesetz können zwei Betriebsversammlungen durch Abteilungsversammlungen ersetzt werden). Anderes kann gelten, wenn der Betriebsrat absichtlich über lange Zeit hinweg keine Betriebsversammlung durchführt in der Absicht, die Gewerkschaften am Zutritt zum Betrieb zu hindern (LAG Baden-Württemberg v. 13.3.2014 – 6 TaBV 5/13, juris: Auflösung des Betriebsrats).
Rz. 729
Die während der Pandemie im Zeitraum 1.3.2020 bis 30.6.2021 durch § 129 BetrVG eingeräumte Möglichkeit, Betriebsversammlungen auch virtuell durchführen zu können, ist im BetriebsrätemodernisierungsG vom 14.6.2021 nicht aufgegriffen worden. Die durch Gesetz vom 16.9.2022 eingefügte Änderung des § 129 BetrVG, nach der Betriebsversammlungen wieder mittels audiovisueller Einrichtungen durch geführt werden konnten, läuft mit Ablauf des 7.4.2023 aus. Wenn der Betriebsrat dennoch im Einverständnis mit dem Arbeitgeber eine solche virtuelle Konferenz durchführt, zählt dies nicht als Betriebsversammlung im Sinne der §§ 42 ff. BetrVG. Soweit hierbei aber keine Geheimnisse oder personenbezogene Daten besprochen werden, steht dieser zusätzlichen Informationsveranstaltung nichts im Wege.
Rz. 730
Für die Beschäftigten besteht keine Teilnahmepflicht an Betriebsversammlungen.
1. Zeitliche Lage
Rz. 731
Die in jedem Kalendervierteljahr durchzuführenden Betriebsversammlungen finden nach § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG während der Arbeitszeit statt. Der Zeitpunkt der Betriebsversammlung wird vom Betriebsrat festgelegt. Über den Versammlungstag, Ort und Uhrzeit soll der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Einverständnis erzielen. Dabei hat er die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 1 BetrVG). Ausnahmsweise kann die Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, wenn die Eigenart des Betriebes eine solche Regelung zwingend erfordert. Es muss sich dabei um organisatorisch-technische Besonderheiten handeln, z.B. untragbare Störungen des Arbeitsablaufes. Wirtschaftliche Erwägungen gehören grds. nicht zu den Gründen, die eine Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit erzwingen können (BAG v. 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, juris). Dennoch kann der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Einzelfall gebieten, auch auf wirtschaftliche Belange des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und die Betriebsversammlung an den Rand der Beschäftigungszeit zu legen.
Rz. 732
Hinweise
Betriebsversammlungen, die nach der Tagesordnung keinen höheren Zeitbedarf als 8 Stunden haben, sind grds. an einem Kalendertag abzuhalten, auch wenn die Betriebsstätten weiter auseinanderliegen und die Mitarbeiter noch an- und abreisen müssen. Eventuelle Unzumutbarkeiten für die Arbeitnehmer aufgrund von Reisezeiten sind durch Teilversammlungen auszugleichen (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 15.10.2008 – 2 TaBV 2/08, juris).
Rz. 733
In jedem Fall kann der Arbeitgeber verlangen, dass die Betriebsversammlung in verkaufsarmer Zeit stattfindet. Der Betriebsrat ist deshalb verpflichtet, verkaufsintensive Tageszeiten, Schlussverkaufszeiträume und das Weihnachtsgeschäft bei der Ansetzung der Betriebsversammlung zu vermeiden. Es erscheint zweifelhaft, ob der Betriebsrat Teilversammlungen auch im Ausland abhalten kann (im Einzelnen vgl. LAG München v. 7.7.2010 – 5 TaBV 18/09, juris, das den Antrag des Betriebsrats letztlich als zu weit gehenden Globalantrag abgewiesen hat). Streitigkeiten über die zeitliche Lage der Betriebsversammlung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat können – ggf. im Wege einstweiliger Verfügung – im Beschlussverfahren vor den ArbG ausgetragen werden.
2. Durchführung der Betriebsversammlung
Rz. 734
Der Betriebsrat muss
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alle Belegschaftsmitglieder und den Arbeitgeber (§ 43 Abs. 2 S. 1 BetrVG) unter Mitteilung der Tagesordnung rechtzeitig einladen; |
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die Betriebsversammlung leiten; |
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einen Tätigkeitsbericht erstatten (§ 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG); |
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dem Arbeitgeber auf Antrag das Wort erteilen. |
Rz. 735
Der Arbeitgeber ist verpflichtet,
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für die Durchführung der Betriebsversammlung einen angemessenen Raum zur Verfügung zu stellen; der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Überlassung eines bestimmten Raums und kann nicht einfach selbst einen Raum bestimmen (LAG Hessen v. 10.10.2013 – 5 TaBV 323/12, juris). Der Arbeitgeber kann auch zur Zurverfügungstellung von Stehtischen verpflichtet sein, wenn diese nach seinem Gestaltungskonzept zur Durchführung einer Betriebsversammlung dienlich sind (zu weitgehend LAG Rheinland-... |