Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
aa) Vorläufige Durchführung der Maßnahme
Rz. 1207
§ 100 BetrVG ermöglicht dem Arbeitgeber, die Einstellung oder Versetzung durchzuführen, selbst wenn der Betriebsrat sich noch nicht geäußert oder die Zustimmung verweigert hat. Zulässig wird die Durchführung sogar schon vor entsprechender Information des Betriebsrates sein, wenn diese noch nicht möglich ist und unverzüglich nachgeholt wird. Die Absicht, die Maßnahme vorläufig durchzuführen, kann der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch noch nach Einleitung des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG und während des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG unter Begründung der nunmehrigen Dringlichkeit mitteilen (LAG Köln v. 29.10.2021 – 9 TaBV 17/21, juris).
Rz. 1208
Hinweis
§ 100 BetrVG ist nicht bei Ein- oder Umgruppierungen anzuwenden. Dort geht es um Rechtsfeststellung, nicht um Rechtsgestaltung. Eine vorläufige Feststellung scheidet aus (BAG v. 27.1.1987 – 1 ABR 66/85, juris; DKW/Bachner/Wenckebach, § 100 Rn 7; Fitting, § 100 Rn 5; Richardi/Thüsing, § 100 Rn 4; zweifelnd GK/Raab, § 100 Rn 5 ff.; a.A. – für Anwendung – LAG Sachsen v. 18.7.2014 – 2 TaBV 11/14, juris: dies überzeugt aber nicht).
Rz. 1209
Diese vorläufige Durchführung ist nur zulässig, wenn Einstellung oder Versetzung dringend erforderlich sind. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, dann muss er den Betriebsrat über diese vorläufige Maßnahme und ihre Dringlichkeit unterrichten. Der Betriebsrat kann die Dringlichkeit – ohne Angabe von Gründen – bestreiten; er muss dies aber ebenfalls unverzüglich (unverzügliche Beschlussfassung, unverzügliche Mitteilung des Beschlusses) tun. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat von der Dringlichkeit unterrichtet und hat der Betriebsrat die Dringlichkeit bestritten, darf der Arbeitgeber die Maßnahme trotzdem aufrechterhalten. Er muss in diesem Fall aber innerhalb von drei Kalendertagen nach dem Zugang des Bestreitens der Dringlichkeit durch den Betriebsrat beim ArbG zwei Anträge stellen, nämlich:
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Die Zustimmung des Betriebsrates zur Einstellung … wird ersetzt. |
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Es wird festgestellt, dass die Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war. |
Rz. 1210
Stellt der Arbeitgeber nur den Feststellungsantrag zur vorläufigen personellen Maßnahme und nicht gleichzeitig – bzw. innerhalb der drei Kalendertage – den Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG, darf er die Maßnahme nicht aufrechterhalten (BAG v. 15.9.1987 – 1 ABR 44/86, juris). Der Arbeitgeber darf mit den Anträgen auch nicht abwarten, ob der Betriebsrat die Zustimmung innerhalb der Wochenfrist verweigert.
Rz. 1211
Ein Zwang zur Einleitung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens besteht allerdings dann nicht, wenn die vorläufige Maßnahme den in § 100 Abs. 2 BetrVG enthaltenen Zeitraum von drei Tagen jeweils nicht überschreitet (LAG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2007 – 6 TaBV 49/07, juris). In diesem Fall hätte sich das Verfahren schon bei Einleitung erledigt und wäre vom ArbG daher einzustellen. Es kann vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, einen schon im Zeitpunkt der Einreichung unzulässigen Antrag zu stellen.
bb) Gesonderte Entscheidung über die Dringlichkeit
Rz. 1212
Das ArbG soll möglichst schnell über die Dringlichkeit entscheiden (BAG v. 18.10.1988 – 1 ABR 36/87, juris). Beim Antrag Nr. 1 handelt es sich um den normalen Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG, der aber innerhalb der 3-Tages-Frist beim ArbG gestellt werden muss. Ansonsten ergeben sich ggü. für diesen Antrag ggü. dem normalen Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG keine Besonderheiten.
Rz. 1213
Missglückt ist der Gesetztext in § 100 Abs. 3 BetrVG: Dort ist nämlich festgehalten, dass die vorläufige personelle Maßnahme mit Ablauf von 2 Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung endet und nicht mehr aufrechterhalten werden darf. Dies ist nach dem Gesetzeswortlaut der Fall, wenn entweder das Gericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ablehnt oder wenn es rechtskräftig feststellt, dass "offensichtlich die Maßnahme aus sachlichen Gründen nicht dringend erforderlich war".
Rz. 1214
Diese letztere Alternative ist deswegen sonderbar, weil diesen Streitgegenstand niemand beantragt hat. Der Arbeitgeber muss – neben dem Zustimmungsersetzungsantrag – beantragen, dass die Maßnahme "sachlich dringend erforderlich war". Der Betriebsrat beantragt Zurückweisung des Antrages. Die Feststellung, dass sie "offensichtlich" nicht dringend erforderlich war, muss das Gericht von Amts wegen treffen. Nur an diese Entscheidung, die das Gericht im Hinblick auf die erforderliche Rechtssicherheit auch ausdrücklich tenorieren muss (BAG v. 18.10.1988 – 1 ABR 36/87, juris), sind Rechtsfolgen – nämlich das Ende der Maßnahme 2 Wochen nach Rechtskraft – geknüpft. An die Frage, ob die vorläufige Maßnahme wirklich dringlich war oder nicht – wenngleich nicht offensichtlich – sind keine Rechtsfolgen geknüpft. Aus diesem Grund wird das Gericht über diese Frage auch nicht entscheiden, sondern von vornherein nur über die offensichtliche/nicht offensichtliche Nicht-Dringlichkei...