Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 317
Jeder Wahlberechtigte, der gehindert ist, an der zweiten Wahlversammlung teilzunehmen, kann mündlich oder schriftlich beim Wahlvorstand Briefwahl beantragen. Dabei kann der Arbeitnehmer auch nachträgliche schriftliche Stimmabgabe beantragen; diesen Antrag, dem der Wahlvorstand nachkommen muss, hat der Arbeitnehmer spätestens drei Tage vor dem Tag der Wahlversammlung dem Wahlvorstand mitzuteilen. Daraufhin muss der Wahlvorstand bei rechtzeitigem Antrag auf schriftliche Stimmabgabe eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Briefwahlumschläge noch nach der zweiten Wahlversammlung, in der die persönliche Stimmabgabe erfolgt, beim Wahlvorstand eingereicht werden können und von diesem anzunehmen sind. Hinsichtlich der Gründe, warum die Arbeitnehmer nicht persönlich wählen können, ist wegen des knappen Zeitraumes Großzügigkeit geboten (ausdrücklich Richardi/Thüsing, § 35 WO Rn 1: In § 35 Abs. 1 WO fehlt im Gegensatz zu § 24 WO der Zusatz "wegen Abwesenheit vom Betrieb"; GK/Jacobs, § 35 WO Rn 2). Sind Wahlberechtigte wegen der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses im Zeitraum der Wahlversammlung verhindert – ggf. auch weil sie am Arbeitsplatz benötigt werden – erhalten sie die Briefwahlunterlagen durch den Wahlvorstand von Amts wegen. Um im Hinblick auf den knappen Zeitraum auch etwa Außendienstmitarbeitern die Stimmabgabe zu ermöglichen, wird es zulässig sein, wenn der Wahlvorstand die nachträgliche schriftliche Stimmabgabe auch ohne diesbezüglichen Antrag von Amts wegen festsetzt (a.A. GK/Jacobs, § 35 WO Rn 2: von Amts wegen nur für den Fall der obligatorischen Briefwahl bei auswärtigen Betriebsteilen). Hinsichtlich der schriftlichen Stimmabgabe selbst gelten die Vorschriften für die Briefwahl im normalen Wahlverfahren entsprechend (§§ 35 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 24, 25 WO).
Rz. 318
Der Gesetzgeber hat keine Frist für die nachträgliche Stimmabgabe bestimmt. Diese muss der Wahlvorstand bereits in der ersten Wahlversammlung im Wahlausschreiben festlegen. Sie soll wegen der kurzen Zeitdauer von einer Woche ab Bekanntgabe der Wahlvorschläge und Wahltag – anschließend müssen ja noch die Stimmzettel erstellt werden – sicherstellen, dass die Briefwahlunterlagen verschickt werden und unter Berücksichtigung des zweimaligen Postweges noch rechtzeitig eingehen können.
Rz. 319
Hinweis
Findet die zweite Wahlversammlung etwa am Donnerstag statt, dann sind Anträge auf nachträgliche Briefwahl bis Sonntag, 24.00 Uhr, möglich. Der Wahlvorstand kann die Unterlagen frühestens am Montag versenden; es kann davon ausgegangen werden, dass sie den Wahlberechtigten am Mittwoch erreichen. Sendet dieser den Wahlumschlag am Donnerstag an den Wahlvorstand zurück, dürfte er bis spätestens Samstag wieder beim Wahlvorstand eingehen. In diesem Fall erscheint, wenn die Post in der Firma üblicherweise nur einmal, und zwar bis gegen Mittag eingeht, eine Frist bis Montag, 14.00 Uhr – die Frist muss nicht an das Tagesende gelegt werden – als noch angemessen (Richardi/Thüsing, § 35 WO Rn 6: frühestens am dritten Tag, höchstens eine Woche nach der zweiten Wahlversammlung; SWS, § 14a BetrVG Rn 13: i.d.R. drei Tage; DKW/Homburg, § 35 WO Rn 4: regelmäßig vier Tage; Fitting, § 35 WO Rn 7: längstens eine Woche; GK/Jacobs, § 35 WO Rn 5: wenige Tage, längstens eine Woche).
Rz. 320
Zumindest dann, wenn von einem Arbeitnehmer rechtzeitig nachträgliche Stimmabgabe beantragt und diese vom Wahlvorstand bewilligt worden ist – diese also in jedem Fall stattfindet –, sind eingehende Briefwahlumschläge anderer Arbeitnehmer ebenfalls bis zum gesetzten (nachträglichen) Zeitpunkt zu berücksichtigen. Der Wahlvorstand muss im Fall eines rechtzeitigen Antrages auf nachträgliche Stimmabgabe unverzüglich durch Aushang bekannt geben (§ 35 Abs. 2 WO), dass die Stimmauszählung erst zu einem späteren Zeitpunkt – unmittelbar nach Ablauf der für die nachträgliche schriftliche Stimmabgabe bestimmten Frist (§ 35 Abs. 3 WO) – stattfindet. In diesem Fall ist die Wahlurne nach dem Ende der zweiten Wahlversammlung bis zum Beginn dieser Stimmauszählung, die mit der Feststellung der Ordnungsmäßigkeit der Briefwahl und dem Einwurf der Briefwahlunterlagen in die Wahlurne beginnt, versiegelt aufzubewahren.
Rz. 321
Hinweis
Wenn ein Arbeitnehmer rechtzeitig nachträgliche schriftliche Stimmabgabe verlangt und der Wahlvorstand diese durch Beschluss beschlossen hat, muss der Wahlvorstand all denjenigen Arbeitnehmern, die ihre Briefwahlunterlagen bereits erhalten haben, unverzüglich die Änderung des Wahlausschreibens mit dem Hinweis auf die Änderung des Zeitpunkts, bis zu dem Briefwahlunterlagen beim Wahlvorstand vorliegen müssen, und der Änderung des Zeitpunktes für die Behandlung der Briefwahlstimmen und des Beginns der Stimmauszählung nachträglich mitteilen. Ansonsten liegt zumindest ein Verstoß gegen die – die Bekanntgabe des Zeitpunkts an alle Arbeitnehmer voraussetzende – Öffentlichkeit der Stimmauszählung vor.