Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
1. Gesetzliche Regelungen
Rz. 372
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der §§ 21a und 21b BetrVG im Jahr 2001 (Übergangsmandat und Restmandat des Betriebsrates) versucht, eine Rechtsschutzlücke zu schließen, um gerade bei Umstrukturierungsmaßnahmen zugunsten der Belegschaft bestehende Mitbestimmungsrechte aufrechtzuerhalten. Anknüpfungspunkt hierbei ist der "Betrieb", nicht das "Unternehmen", auch wenn das Gesetz an die Nomenklatur des UmwG (Spaltung) anknüpft. Anders als die europäische Richtlinie, deren Umsetzung die Einführung des Rest- und Übergangsmandats dient (2001/23/EG, Art. 6), setzen die Vorschriften einen Wechsel des Unternehmens nicht voraus. Allerdings fehlen die wohl von der Richtlinie geforderten Regelungen für Sprecherausschüsse und für Personalräte (ausführlich GK/Kreutz, § 21a Rn 2 ff.; HaKo-BetrVG/Düwell, § 21a Rn 10 ff.).
2. Tatbestandsvoraussetzungen
Rz. 373
Die Regelung ist in großem Maß unvollständig und wirft eine Fülle von Fragen auf. Das Gesetz sieht sowohl beim Restmandat als auch beim Übergangsmandat drei Alternativen vor:
Restmandat: |
"Untergang des Betriebes" durch |
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Übergangsmandat: |
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Spaltung des Betriebes mit Eingliederung des abgespaltenen Teiles in einen Betrieb mit Betriebsrat |
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Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen |
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3. Inhalt des Restmandats
Rz. 374
Das Restmandat dient dazu, Mitbestimmungsrechte, die durch die Stilllegung oder Spaltung – durch den Wegfall der Organisation, für die der Betriebsrat gewählt war – entstanden sind, abzuwickeln. Im Vordergrund steht hierbei der Sozialplan: Ist dieser in dem Zeitpunkt, in dem der Betrieb stillgelegt ist, noch nicht abgeschlossen, soll dies auch nach der Stilllegung – ab diesem Zeitpunkt wäre ja sonst der Betriebsrat nicht mehr funktionsfähig – noch möglich sein; ansonsten hätte derjenige Arbeitgeber, der das Verfahren auf Abschluss eines Sozialplans verzögert, ungerechtfertigte Vorteile. Das Restmandat besteht nicht für im originären Vollmandat bestehende Mitbestimmungsrechte, die in keinem funktionalen Bezug zur Stilllegung des Betriebes stehen (BAG v. 11.10.2016 – 1 ABR 51/14, juris, für Auskunft über variable Vergütung; ebenso BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, juris). Das BAG hat das Vorhandensein eines solchen Restmandates schon vor der Einführung des § 21b BetrVG bejaht.
Rz. 375
Das Restmandat beschränkt sich aber nicht auf den Abschluss des Sozialplanes. Es besteht auch
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für das Verfahren vor der Einigungsstelle, wenn eine Einigung über den Sozialplan nicht rechtzeitig erfolgt ist, |
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für etwa vereinbarte Mitwirkungsrechte bei der Abwicklung des Sozialplanes (Verteilung von Mitteln aus Härtefonds), |
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für Streitigkeiten über die Frage, ob eine Betriebsänderung (mit der Folge einer Pflicht zur Verhandlung über einen Interessenausgleich, der Verletzung dieser Pflicht bzw. der Pflicht zum Abschluss eines Sozialplanes) vorliegt, |
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für Streitigkeiten, ob der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss eines Sozialplanes zuständig ist (BAG v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, juris), |
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für Verhandlungen über die Änderung eines Sozialplanes (BAG v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, juris), |
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für Auslegungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Sozialplan, |
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für betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche auf Durchführung des Sozialplanes, |
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für die Mitbestimmung bei Kündigungen von Arbeitnehmern, die mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden und deswegen erst nach der eigentlichen Stilllegung gekündigt werden (BAG v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, juris), |
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wohl auch für andere später ausgesprochene Kündigungen, wenn diese mit dem Untergang des Betriebes in Zusammenhang stehen (LAG Nds. v. 23.4.2007 – 9 Sa 815/06, juris), |
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auch für die Mitbestimmung bei Versetzungen nach § 99 BetrVG, wenn diese im Zusammenhang mit einer Auf- oder Abspaltung erfolgen, und für Beschlussverfahren nach §§ 99 Abs. 4 und 100 BetrVG (LAG Bremen v. 9.12.2004 – 3 TaBV 15/04, juris), |
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bei Aufspaltung, die mit einem Betriebsübergang eines Betriebsteiles verbunden ist, besteht kein Restmandat für die der Kündigung nach § 613a Abs. 6 BGB widersprechenden Arbeitnehmer – diese sind dann an sich keinem vorhandenen Betrieb mehr zuzuordnen (BAG v. 24.9.2015 – 2 AZR 562/14, juris: Arbeitnehmer können keine Betriebe stilllegen, spalten oder zusammenlegen; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 62/11, juris; BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 1005/12, juris: durch die Widersprüche wird der Betrieb nicht "gespalten" LAG Nürnberg v. 9.8.2011 – 6 Sa 230/10, juris; LAG Sachsen v. 21.6.2006 – 2 Sa 677/05, juris; a.A. z.B. LAG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2005 – 2 TaBV 15/05, juris; siehe auch Rdn 381); dennoch soll ein vom Restmandatsbetriebsrat abgeschlossener Sozialplan auch Abfindungen für dem Betriebsübergang widersprechenden – "betriebs-losen" – Arbeitnehmer vorsehen können (LAG Hamburg v. 5.2.2020 und v. 22.6.2020 – 7 Sa 89/19 und 5 Sa 44/19, juris, jeweils beim BAG verglichen), |
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für einen Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG bei Auslobung eines Retention-Bonus durch den Arbeitgeber in unmittelbarem Zu... |