Wolfgang Arens, Ulrich Spieker
I. Typischer Sachverhalt einer Verschmelzung
Rz. 4
Die Gesellschafter der X GmbH sind zugleich auch Gesellschafter der Y GmbH. Sie haben in der Vergangenheit ihre unternehmerischen Aktivitäten in zwei rechtlich getrennten Gesellschaften betrieben. Einerseits diente dies der Haftungsbegrenzung, andererseits der Transparenz der wirtschaftlichen Erfolge bzw. Misserfolge der beiden unterschiedlichen unternehmerischen Aktivitäten durch getrennte Buchführungskreise und getrennte Jahresabschlüsse. In den letzten Jahren hat die Y GmbH durch strukturelle Einflüsse erhebliche Marktanteile verloren. Es haben sich nach einigen ertragsschwachen Jahren auch schon erhebliche Verlustvorträge aufgebaut. Die Gesellschafter beabsichtigen, die dortige unternehmerische Tätigkeit einzustellen, falls die Entwicklung anhält. Um das aufwändige und zeitraubende Liquidationsverfahren zu ersparen, wollen sie die Y GmbH auf die X GmbH verschmelzen. Andererseits hoffen sie – allerdings vergeblich –, die aufgelaufenen Verluste bei einer etwaigen Fortsetzung der bisherigen Aktivitäten der Y GmbH in der X GmbH steuerlich noch nutzen zu können.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 5
In § 2 UmwG 1995 sind zwei Arten der Verschmelzung geregelt, nämlich die Verschmelzung "durch Aufnahme" und die Verschmelzung "durch Neugründung". Hier kommt die Verschmelzung "durch Aufnahme" in Betracht. Dabei wird das Vermögen eines oder mehrerer Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) als Ganzes auf einen schon bestehenden Rechtsträger (übernehmender Rechtsträger) übertragen. Der übertragende Rechtsträger erlischt, sein aktives und passives Vermögen und alle seine Rechtsbeziehungen und Rechtspositionen, soweit sie nicht höchstpersönlicher Natur sind, gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger über und die Anteilsinhaber (Gesellschafter) des oder der übertragenden Rechtsträger erhalten – zumindest in der Regel – Anteile am übernehmenden Rechtsträger.
Rz. 6
In § 3 UmwG ist bestimmt, welche Unternehmen bei einer Verschmelzung als übertragende oder übernehmende Rechtsträger in Betracht kommen. Danach kann eine GmbH sowohl übertragender Rechtsträger als auch übernehmender Rechtsträger sein.
Rz. 7
Bei Berücksichtigung der Rückwirkung im Rahmen der Acht-Monats-Frist gem. § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG i.V.m. § 2 UmwStG kann auf den Bilanzteil des letzten Jahresabschlusses als Umwandlungsbilanz zurückgegriffen werden. Streitig ist, ob die Umwandlungsbilanz innerhalb der Acht-Monats-Frist bereits mit der Anmeldung der Umwandlung zum Handelsregister gereicht werden muss, oder ob es ausreicht, wenn lediglich der Bilanzstichtag innerhalb der Acht-Monats-Frist liegt und die Umwandlungsbilanz erst danach zum Handelsregister nachgereicht wird. Bereits mit dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber zunächst für das Kalenderjahr 2020 und auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung vom 20.10.2020 auch für 2021 das achtmonatige Rückwirkungsprivileg gemäß § 17 Abs. 2 S. 4 UmwG auf 12 Monate verlängert. Durch eine entsprechende Regelung in § 27 Abs. 15 UmwStG ist diese Verlängerung auch umwandlungssteuerrechtlich auf alle Umwandlungsvorgänge i.S.v. §§ 2 Abs. 1, 9, 20–24 UmwStG erstreckt worden.
Rz. 8
Für die Wertansätze in der Schlussbilanz gilt grundsätzlich der gemeine Wert (§ 11 UmwStG). Die Übertragung zum Buchwert oder zu einem Zwischenwert ist nur auf Antrag und unter weiteren einschränkenden Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2 S. 1 und S. 2 UmwStG möglich. Der Antrag, den Wert abweichend vom gemeinen Wert anzusetzen, ist spätestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz bei dem für die Besteuerung der übernehmenden Gesellschaft zuständigen Finanzamt zu stellen. Bei der aufnehmenden Kapitalgesellschaft müssen die Wertansätze für die übergehenden Wirtschaftsgüter übernommen werden (Buchwertverknüpfung; §§ 12 Abs. 1, 4 Abs. 1 UmwStG). Auch hinsichtlich der Bemessungsgrundlagen für Abschreibung und erhöhte Abschreibungen, Sonderabschreibungen und hinsichtlich sonstiger Positionen tritt die übernehmende Kapitalgesellschaft in die Rechtstellung der übertragenden Gesellschaft ein. Die "Verlustmitnahme" ist – seit 1998 – nicht mehr möglich. Etwaige Verlustvorträge beim übertragenden Rechtsträger gehen also im Rahmen der Verschmelzung verloren. Wenn die Verlustvorträge nicht untergehen sollen, müsste ggf. die "Gewinn-Gesellschaft" auf die "Verlust-Gesellschaft" verschmolzen werden.
Rz. 9
Bei Vorhandensein von Grundvermögen beim übertragenden Rechtsträger entsteht bei dessen Übergang auf den übernehmenden Rechtsträger Grunderwerbsteuerpflicht.