Rz. 6
Mit dem Strafprozessrecht bezeichnet man zum einen alle Normen, die das Verfahren zur Feststellung einer Straftat regeln, zum anderen die Normen, die die Art und Weise der Vollstreckung einer erkannten Strafe bestimmen.
Rz. 7
Das Strafverfahren gliedert sich in insgesamt vier Verfahrensabschnitte, nämlich das Ermittlungsverfahren, das Zwischenverfahren, das Hauptverfahren und das Vollstreckungsverfahren. Allen Verfahrensabschnitten ist gemeinsam, dass die zu beurteilenden Sachverhalte – mit wenigen Ausnahmen – nicht durch die Beteiligten dieses Verfahrens beizubringen sind, sondern durch staatliche Behörden zu ermitteln sind. Man spricht insoweit vom Amtsermittlungsgrundsatz. Weiterhin ist das Strafverfahren dadurch gekennzeichnet, dass seine Durchführung sowie bestimmte Verfahrenshandlungen nicht in das Ermessen der Beteiligten gestellt, sondern gesetzlich vorgeschrieben und nicht disponibel sind. So ist die Staatsanwaltschaft zur Durchführung von Ermittlungen z.B. auch dann verpflichtet, wenn der Geschädigte eine Strafverfolgung ablehnt.
Rz. 8
Ausnahmen hiervon sind lediglich solche Delikte, die ausdrücklich per Gesetz vom Strafverfolgungszwang der Ermittlungsbehörden ausgenommen sind. Zu nennen sind hier insbesondere die Strafantragsdelikte. Als Beispiel ist hier die Sachbeschädigung gem. § 303 StGB zu nennen. Diese erfordert grds. zu ihrer Verfolgung einen Strafantrag, § 303c StGB. Ein Strafantrag ist das Verlangen des Geschädigten nach Strafverfolgung. Der Strafantrag im Rechtssinne ist also nicht zu verwechseln mit der Strafanzeige, mit der irgendjemand auf ein vermeintlich strafbares Verhalten eines Dritten hinweist. Es kann sich im Rechtssinne um einen Strafantrag handeln, falls die Strafanzeige von dem Geschädigten kommt und die Auslegung ergibt, dass hier ein "Verlangen des Geschädigten nach Strafverfolgung" vorliegt. Es kann aber auch im Rechtssinne nur ein Hinweis an die Strafverfolgungsbehörden sein, die dann zu überprüfen haben, ob sie von Amts wegen der Sache weiter nachgehen oder nicht. Der Strafantrag muss innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Antragsberechtigten von Tat und Täter gestellt werden, § 77b Abs. 1, 2 StGB. Geschieht dies nicht, hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses des fehlenden Strafantrags gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Gleiches gilt, wenn im Verlauf des Verfahrens der bereits gestellte Strafantrag von dem Berechtigten zurückgenommen wird. Doch wie so oft im Recht gibt es auch hier eine Ausnahme, da in einigen Fällen – auch dies muss gesondert gesetzlich bestimmt sein – die Staatsanwaltschaft auch bei Fehlen eines Strafantrages die Straftat verfolgen darf, nämlich dann, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Dies ist nach den für die Staatsanwaltschaften bindenden Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) dann der Fall, wenn durch die Straftat nicht nur die Sphäre des Täters und des Opfers betroffen ist, sondern darüber hinausgehende Interessen.
Rz. 9
Wesentliches Merkmal des deutschen Strafverfahrensrechts ist, dass während des gesamten Verfahrens kein Beschuldigter verpflichtet ist, Angaben zur Sache zu machen oder sich selbst zu belasten. Jeder Beschuldigte hat nicht nur ein umfassendes Schweigerecht, dessen Wahrnehmung ihm weder in der Beweiswürdigung noch in der Strafzumessung Nachteile bereiten darf, er darf sogar lügen, solange er dadurch nicht Ermittlungen gegen unschuldige Dritte in Gang setzt (§ 164 StGB).
I. Das Ermittlungsverfahren
1. Der Anfangsverdacht
Rz. 10
Die Staatsanwaltschaft hat nach dem im deutschen Strafrecht geltenden Amtsermittlungs- oder auch Offizialprinzip ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn ihr Umstände bekannt werden, die zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten enthalten, § 152 Abs. 2 StPO. Man spricht insoweit von einem Anfangsverdacht. Woher dieser stammt, spielt keine Rolle, insbesondere ist dazu keine Strafanzeige erforderlich. Ausreichend ist bspw. eine konkrete Presseberichterstattung oder auch eine privat erlangte Kenntnis eines Polizeibeamten oder Staatsanwalts. Andererseits hat auch bei Vorliegen einer Strafanzeige die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht besteht und ein möglicherweise notwendiger Strafantrag rechtzeitig gestellt wurde. Ist dies nicht der Fall, lehnt sie die Aufnahme von Ermittlungen ab. Ein Ermittlungsverfahren im eigentlichen Sinne wird in diesen Fällen nicht eingeleitet.
Rz. 11
Ermittlungsverfahren können sich gegen konkrete Personen richten, die dann Beschuldigte heißen, aber auch gegen noch unbekannte Personen. Ob sich ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt oder gegen eine oder mehrere bestimmte Person(en) richtet, erkennt man am Aktenzeichen. Ein sog UJs-Aktenzeichen zeigt, dass ein Beschuldigter bisher nicht bekannt ist, während ein Js-Aktenzeichen erkennen lässt, dass die Ermittlungen sich gegen konkrete Personen richten.
2. Durchführung des Ermittlungsverfahrens
Rz. 12
Bejaht die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht, so muss sie – von den dargestellt...