Rz. 14
Als oberster Grundsatz des Arbeitskampfrechtes fungiert das Prinzip der Waffengleichheit oder das Prinzip der Parität. Es wird auch als das maßstabsbildende Strukturprinzip des gesamten Arbeitskampfrechtes bezeichnet (ErfK/Linsenmaier, GG, Art. 9 Rn 134). Das Paritätsprinzip sei Voraussetzung für ein funktionierendes Tarifvertragssystem (BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924). Es geht um die Herstellung von gleichgewichtigen Verhandlungschancen (BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924). Ein Verhandlungsübergewicht durch besondere Kampftaktiken müsse durch Gegenmittel kompensiert werden, um die gestörte Parität wieder herzustellen. Dies gilt insb. für die Aussperrung (BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, DB 1980, 1266; BVerfG v. 26.6.1991, AuR 1992, 29). Das Arbeitskampfrecht habe zu gewährleisten, dass nicht eine Tarifvertragspartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern dass möglichst gleiche Verhandlungschancen bestehen (BAG v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, DB 2007, 1924).
Rz. 15
Einerseits sind dabei die realen Kräfteverhältnisse zu bestimmen, andererseits geht es der Rspr. um eine typisierende Betrachtung. Situationsbedingte Vorteile müssen deshalb unberücksichtigt bleiben (BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, DB 1980, 1266; BAG v. 24.4.2007, DB 2007, 1924). Schließlich setzt die Parität der Tarifvertragsparteien im Arbeitskampf ihre Abwehrfähigkeit voraus. Der Staat ist nicht verpflichtet, so entstandene Disparitäten auszugleichen (BVerfG v. 4.7.1995, AuR 1996, 33; BAG v. 24.4.2007, DB 2007, 1924).
Rz. 16
Die Ausgestaltung des Paritätsprinzips ist noch nicht abschließend geklärt (Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn 11). Aufgrund der Offenheit des Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich ihm nicht entnehmen, nach welchen Maßstäben das Kräftegleichgewicht der Tarifvertragsparteien bestimmt werden kann. Das BAG beschränkt sich auf eine abstrakt typisierende Weise und damit auf solche Gesichtspunkte, die sich auf die Verhandlungsstärke in Tarifverhandlungen auswirken. Bei der, wenn auch begrenzten, Zulassung der Aussperrung sind dies vor allem Zahlenverhältnisse der Streikenden und Ausgesperrten sowie Streiktaktiken, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit und Verbandssolidarität auswirken können (BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, DB 1980, 1266). Bei der Entlastung des Arbeitgebers vom arbeitskampfbedingten Entgeltrisiko im Zusammenhang mit Fernwirkungen eines Arbeitskampfes sind dies die begrenzenden koalitionspolitischen Verbindungen (BAG v. 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, DB 1981, 321). Das BVerfG nimmt erst dann einen Korrekturbedarf dieser Rspr. an, wenn sich herausstellen sollte, dass die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, also die gleichgewichtigen Verhandlungschancen, durch die Änderung des § 146 SGB III gestört wären (BVerfG v. 4.7.1995, AuR 1996, 33).
Rz. 17
Im Zusammenhang mit dem Streik der GDL ist die Auffassung vertreten worden, dass eine Paritätsstörung zulasten des Arbeitgebers dann eintreten kann, wenn dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen ist, auf einen Streik mit gleichwertigen Aussperrungsmaßnahmen zu reagieren (ArbG Düsseldorf v. 1.8.2007, AiB 2007, 683). Dies sei anzunehmen, wenn der Arbeitgeber an dem Streik nicht beteiligte Arbeitnehmer nicht aussperren könne, weil für diese bereits ein anderer, mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossener Tarifvertrag gelte. Deshalb sei ein Streik unzulässig. Dem Arbeitgeber stehe andererseits eine Vielzahl von Gegenwehrmitteln zur Verfügung. Er könne z.B. die Forderungen der streikführenden Gewerkschaft einfach ablehnen. Er könne auch versuchen, den Betrieb mit arbeitswilligen Arbeitnehmern aufrechtzuerhalten oder ihn stillzulegen. Würde man aber diese Auffassung vertreten, dies nicht zur Parität in Verhandlungen und Arbeitskämpfen führte, sondern zum Schutz des Arbeitgebers vor einer Verhandlung und einem Streik (LAG Sachsen v. 2.11.2007, NZA 2007, 59).