Rz. 16
Grundsätzlich kann sich ein Dritter nach § 15a Abs. 3 RVG nicht auf eine Anrechnung berufen. Da jede Gebühr selbstständig ist, kann die im Rechtsstreit obsiegende Partei also grundsätzlich die Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr verlangen, und zwar unbeschadet der Anrechnung einer eventuell zuvor entstandenen Geschäftsgebühr.
Rz. 17
Das gilt auch, wenn nicht die Partei den Kostenerstattungsanspruch geltend macht, sondern der Rechtsanwalt, der nach § 126 ZPO die Kostenfestsetzung gegen den Gegner in eigenem Namen betreibt.
Rz. 18
Der Erstattungspflichtige kann also vor allem nicht mehr – wie früher – einwenden, es sei auf Seiten des Erstattungsberechtigten zuvor eine anzurechnende Gebühr entstanden, daher seien die Kosten des Rechtsstreits um den anzurechnenden Betrag vermindert. Nur dann, wenn der Erstattungspflichtige selbst die anzurechnende Gebühr bereits gezahlt oder anderweitig erfüllt hat oder diese gegen ihn bereits tituliert ist, kann er sich nach § 15a Abs. 3 RVG auf die Anrechnung berufen.
Beispiel 8: Volle Kostenerstattung trotz Anrechnung (Rechtsstreit)
Der Beklagte war vorgerichtlich in Höhe von 8.000,00 EUR in Anspruch genommen worden und hatte durch seinen Anwalt die Forderung abwehren lassen. Angefallen war insoweit eine 1,3-Geschäftsgebühr. Es kam hiernach zum Rechtsstreit. Die Klage wurde abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hatte der Kläger zu tragen.
Während nach der ursprünglichen Rspr. des BGH der Beklagte im Kostenfestsetzungsverfahren nur noch die Verfahrensgebühr abzüglich der hälftig anzurechnenden Geschäftsgebühr (also 1,3 – 0,65 = 0,65) verlangen konnte, kann sich die erstattungspflichtige Partei nach § 15a Abs. 3 RVG auf diese Anrechnung nicht mehr berufen. Gegen sie muss die volle 1,3-Verfahrensgebühr festgesetzt werden:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
652,60 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3100 VV |
|
602,40 EUR |
|
(Wert: 8.000,00 EUR) |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.275,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
242,25 EUR |
Gesamt |
|
1.517,25 EUR |
Rz. 19
Dieser Grundsatz des § 15a Abs. 3 RVG hat mit dem 2. KostRMoG auch Einzug in verwaltungs-, sozial- und steuerrechtlichen Angelegenheiten sowie in Verfahren nach der WBO und WDO gehalten. Das gilt nicht nur im gerichtlichen Verfahren, sondern auch bei einer Erstattung im Nachprüfungsverfahren.
Beispiel 9: Volle Kostenerstattung trotz Anrechnung (verwaltungsrechtliches Nachprüfungsverfahren)
Der Anwalt wird im Verwaltungsverfahren vor der Behörde beauftragt (Wert: 6.000,00 EUR). Gegen den Bescheid der Behörde legt er Widerspruch ein, der erfolgreich ist, sodass die Behörde die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstatten muss. Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren war die Sache umfangreich und schwierig, aber durchschnittlich.
Gegenüber dem Mandanten rechnet der Anwalt – ausgehend von den Mittelgebühren – wie folgt ab:
I. |
Verwaltungsverfahren |
|
|
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
585,00 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
605,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
114,95 EUR |
Gesamt |
|
719,95 EUR |
II. |
Widerspruchsverfahren |
|
|
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
585,00 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
|
2. |
gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV S. 1 anzurechnen, |
|
– 292,50 EUR |
|
0,75 aus 6.000,00 EUR |
|
|
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
312,50 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
59,38 EUR |
Gesamt |
|
371,88 EUR |
Gesamt I. + II. |
|
1.091,83 EUR |
Zu erstatten ist jedoch unter Berücksichtigung des § 15a Abs. 3 RVG die volle Geschäftsgebühr des Widerspruchsverfahrens, unbeschadet der Anrechnung:
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
585,00 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
|
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
605,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
114,95 EUR |
Gesamt |
|
719,95 EUR |
Rz. 20
Beispiel 10: Volle Kostenerstattung trotz Anrechnung (sozialrechtliches Nachprüfungsverfahren)
Der Anwalt wird im Verwaltungsverfahren vor der Sozialbehörde beauftragt. Gegen den Bescheid der Behörde legt er Widerspruch ein, der erfolgreich ist, sodass die Behörde die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstatten muss. Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren war die Sache umfangreich und schwierig, aber durchschnittlich.
Gegenüber dem Mandanten rechnet der Anwalt jeweils ausgehend von der Mittelgebühr wie folgt ab:
I. |
Verwaltungsverfahren |
|
|
1. |
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV |
|
414,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
434,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
82,46 EUR |
Gesamt |
|
516,46 EUR |
II. |
Widerspruchsverfahren |
|
|
1. |
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV |
|
414,00 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 1. VV anzurechnen |
|
– 207,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
227,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
43,13 EUR |
Gesamt |
|
270,... |