Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 332
Im Ausgangspunkt obliegt es den Parteien eines Arbeitskampfes, ihre Kampfmittel und Reaktionen hierauf frei zu wählen. So sind in der Vergangenheit von der Rechtsprechung auch ungewöhnliche Maßnahmen wie Flashmobs, die mit den klassischen Arbeitskampfmitteln Streik und (Abwehr-)Aussperrung nur wenig gemein haben, als zulässige von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Arbeitskampfmaßnahme eingeordnet worden. Das BAG erkennt auch ausdrücklich an, dass der Einsatz von arbeitswilligen Arbeitnehmern als "Streikbrecher" durch den Arbeitgeber eine zulässige Reaktion auf einen Streik ist. Dies zeigt letztlich auch, dass nicht nur Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften, sondern auch Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeber – jedenfalls soweit es sich um Abwehrmaßnahmen handelt – verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sind. Immerhin geht es bei einem Einsatz von "Streikbrechern" nicht um eine aktive – auf eine Ausweitung des Kampfgebietes gerichtete – Maßnahme, sondern es sollen lediglich die Auswirkungen des Streiks eingedämmt werden. Dass sich Arbeitgeber in der Vergangenheit nicht nur eigener arbeitswilliger Arbeitnehmer bedienten, sondern auch auf bereits entliehene oder neue Leiharbeitnehmer zurückgriffen, mag man politisch bekämpfen wollen, untersteht jedoch im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichem Schutz. Das BAG hat gerade in den letzten Jahren deutlich zu erkennen gegeben, dass sich der Arbeitskampf nicht auf die Personen beschränken muss, die unmittelbar von dem angestrebten Tarifvertrag profitieren. So sind nach der Rechtsprechung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sowohl Unterstützungsstreiks als auch Flashmob-Aktionen von am Tarifgeschehen Unbeteiligten zulässig.
Rz. 333
Wenn der Gesetzgeber eine geschützte und effektive Abwehrstrategie der Arbeitgeber durch ein Verbot gezielt einschränkt, bedeutet dies, dass unmittelbar der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit der Entleiher durch das Einsatzverbot von Leiharbeitnehmer betroffen ist. Wenn das BVerG in seiner Entscheidung vom 19.6.2020 indes ausdrücklich offenlässt, ob der Einsatz von Leiharbeitskräften als "Streikbrecher" als Mittel im Arbeitskampf von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, kann dies allein darin begründet sein, dass es bei der weiteren Prüfung von einem jedenfalls verhältnismäßigen Eingriff die Koalitionsfreiheit ausgeht und es insoweit keiner Prüfung bedurfte. Immerhin betont auch das BVerfG in seiner Entscheidung, dass die Wahl der Arbeitskampfmittel den Tarifvertragsparteien selbst überlassen bleiben muss.