Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 158
Der Grundsatz der Gleichbehandlung – egal in welcher Ausprägung – setzt denknotwendig voraus, dass der Bezugspunkt definiert wird, gegenüber welchem die Gleichbehandlung erreicht werden muss. Das Gesetz knüpft hier an den "vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers" an.
Die Vergleichbarkeit ist dabei tätigkeitsbezogen zu bestimmen. Entscheidend ist, welche Tätigkeiten der Leiharbeitnehmer bei dem Entleiher ausübt. Auf etwaige Qualifikationen des Leiharbeitnehmers, die für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nicht erforderlich sind, kommt es zunächst nicht an. Zudem ist der "vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihers" durchaus eine natürliche Person. Soweit der Leiharbeitnehmer also Tätigkeiten ausübt, welche der Entleiher auch durch eigene Arbeitnehmer erbringen lässt, kann und muss somit auf einen tatsächlich vorhandenen vergleichbaren Arbeitnehmer abgestellt werden; ggf. auch auf den vormaligen, nachfolgend beim Entleiher beschäftigten Leiharbeitnehmer selbst. Eine fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in ein etwaiges Vergütungssystem des Entleihers ist in diesem Fall nicht vorzunehmen.
Rz. 159
Beschäftigt der Entleiher mehrere eigene Arbeitnehmer mit den Tätigkeiten, die auch von dem Leiharbeitnehmer übernommen werden, so existieren ggf. mehrere vergleichbare Arbeitnehmer. Sofern die Arbeitsbedingungen der einzelnen Arbeitnehmer hierbei voneinander abweichen, muss lediglich auf den vergleichbaren Arbeitnehmer mit den "schlechtesten" Arbeitsbedingungen abgestellt werden. Die entsprechenden Vorschriften aus dem AÜG sollen verhindern, dass Leiharbeitnehmer im Kundeneinsatz schlechter gestellt werden als die eigenen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers. Eine Besserstellung gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers ist jedoch nicht das Ziel des Gesetzes. Aus diesem Grund muss bei mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern nicht auf die besten oder auf die durchschnittlichen Arbeitsbedingungen abgestellt werden, sondern tatsächlich nur auf den vergleichbaren Arbeitnehmer, der die "schlechtesten" Arbeitsbedingungen erhält.
Rz. 160
Vor allem Entgeltunterschiede innerhalb der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer dürften regelmäßig insbesondere dann auftreten, wenn die vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers im Laufe ihrer Betriebszugehörigkeit eine Entgeltentwicklung durchlebt haben, so dass die tatsächliche Höhe der Vergütung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebszugehörigkeit steht. Es stellt sich somit die Frage, auf welche Entgelthöhe in einer solchen Situation abzustellen ist, wenn die vergleichbaren Arbeitnehmer zwar unterschiedlich lange, jedoch beispielsweise jeweils bereits 15 oder 20 Jahre betriebszugehörig sind. Offensichtlich würde in einem solchen Fall die Vergütung eines neu hinzukommenden Arbeitnehmers des Entleihers geringer ausfallen, als die Vergütung der konkret vorhandenen vergleichbaren Arbeitnehmer. Hypothetische Betrachtungen sind jedoch nur zulässig, wenn es tatsächlich an einem vergleichbaren Arbeitnehmer fehlt.
Rz. 161
Fraglich ist jedoch, ob ein Arbeitnehmer mit einer erheblich längeren Betriebszugehörigkeit als der entsprechende Leiharbeitnehmer überhaupt als "vergleichbar" angesehen werden muss. Wäre die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein maßgebliches Merkmal, so könnte daran die Vergleichbarkeit scheitern mit der Konsequenz, dass – mangels Alternative – auf eine hypothetische Vergleichbarkeit abgestellt werden könnte, zu welcher sogleich noch ausgeführt werden wird. Gegen die Dauer der Betriebszugehörigkeit als Merkmal zur Bestimmung der Vergleichbarkeit spricht jedoch die Rechtsprechung des BAG, wonach die Vergleichbarkeit tätigkeitsbezogen zu bestimmen ist und persönliche Merkmale und Eigenschaften demgegenüber grundsätzlich zurücktreten müssen, sofern der Entleiher die Vergütung der eigenen Arbeitnehmer nicht auch hiervon abhängig macht.
Rz. 162
Wird demnach tatsächlich die gleiche Tätigkeit ausgeübt und hat sich die Vergütung der einzelnen Arbeitnehmer des Entleihers lediglich jährlich erhöht, so handelt es sich um vergleichbare Arbeitnehmer im Sinne des AÜG und ein Anspruch auf Equal Treatment müsste sich an deren Arbeitsbedingungen ausrichten. Der vom BAG aufgestellte Grundsatz, wonach die persönlichen Eigenschaften – zu denen auch die Betriebszugehörigkeit bzw. Berufserfahrung gehören kann – nur dann zu berücksichtigen sind, wenn diese auch vom Entleiher für die Frage der Vergütung der eigenen Arbeitnehmer relevant sind, käme in der vorstehend geschilderten Konstellation nur dann zum Tragen, wenn der Entleiher bei seinen eigenen Arbeitnehmern auch in fremden Betrieben erlangte Berufserfahrung voll anrechnen und finanziell berücksichtigen würde. Wenn sich also die Vergütung der eigenen Arbeitnehmer des Entleihers nach deren Berufserfahrung richtet, unabhängig davon, wo diese Erfahrung erworben wurde, dann wäre diese Berufserfahrung ein Merkmal, an dem die "Vergleichbarkeit" des Leiharbeitnehmers mit den Stamm...