Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 301
Die Neuregelung schweigt sich dazu aus, ob dem Leiharbeitnehmer im Falle eines Einsatzverbotes der Anspruch auf die Vergütung erhalten bleiben soll oder nicht. Da die streikenden Stammarbeitskräfte ihren Lohnanspruch verlieren, ist die Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs des Leiharbeitnehmers trotz (erzwungener) "Streikteilnahme" keine Selbstverständlichkeit. Rechtlich gewinnt die Frage dadurch an Komplexität, dass das Einsatzverbot aus dem Blickwinkel des Verleihers die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers nicht schlechthin verbietet, sondern nur in der kraft Überlassungsvertrag und Weisungsausübung des Entleihers beabsichtigten Form.
Rz. 302
Entfällt die Arbeit des Leiharbeitnehmers aufgrund des Einsatzverbotes, führt dies schon wegen des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung im Grundsatz nach §§ 275 Abs. 1 und 326 Abs. 1 BGB zum Entfall des Vergütungsanspruchs ("kein Lohn ohne Arbeit"). Eine Aufrechterhaltung nach § 326 Abs. 2 S. 1 BGB scheidet aus, da der Verleiher für den Umstand des Einsatzverbotes nicht verantwortlich ist.
Rz. 303
Eine Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs unter Annahmeverzugsgesichtspunkten nach § 615 S. 1 BGB scheidet ebenfalls aus. Ein Annahmeverzug ist nach § 297 BGB nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken, was insbesondere bei behördlichen Einsatzverboten der Fall sein kann. Im Fall des Einsatzverbotes nach § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG liegt ein gesetzliches Einsatzverbot vor, welches sich sowohl an Leiharbeitnehmer, als auch an den Entleiher richtet. Wie auch bei anderen Einsatzverboten steht dies einem Annahmeverzug entgegen. Der Umstand, dass sich das Einsatzverbot nur auf eine konkrete Tätigkeit beim Entleiher bezieht, steht der Leistungsunfähigkeit des Leiharbeitnehmers nach § 297 BGB nicht entgegen. Denn die im Sinne von § 294 BGB zu bewirkende Arbeitsleistung richtet sich nach der durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts näher bestimmten Tätigkeit. Dies ist diejenige Tätigkeit, zu der der Leiharbeitnehmer durch den Verleiher bestimmt wird, die sodann aufgrund des Einsatzverbotes indes rechtlich unmöglich ist.
Rz. 304
Eine Verpflichtung des Verleihers zur Fortzahlung der Vergütung kann daher allenfalls auf § 615 S. 3 BGB (Betriebsrisikolehre) gestützt werden. Das Betriebsrisiko betrifft die Frage, ob der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet bleibt, wenn er ohne eigenes Verschulden zur Beschäftigung der Belegschaft aus betrieblichen Gründen nicht im Stande ist. Es geht dabei auch um Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Arbeitsmittel beispielsweise aus rechtlichen Gründen nicht zur Verfügung stellen kann, so dass die an sich arbeitswilligen Arbeitnehmer nicht in der Lage sind, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Wenn das entsprechende Risiko dem Arbeitgeber zugewiesen ist, kann die Betriebsrisikozuweisung auch bei behördlichen und gesetzlichen Verboten greifen. Der Verleiher trägt grundsätzlich das Risiko, dass Leiharbeitnehmer in Folge von Streiks beim Entleiher nicht beschäftigt werden können. Der Verleiher hat damit im Verhältnis zum Leiharbeitnehmer das "Verwendungsrisiko" im Einsatzbetrieb übernommen. Fällt also aufgrund eines gesetzlichen Verbotes beim Entleiher die Einsatzmöglichkeit weg, liegt dies im Allgemeinen in der Risikosphäre des Verleihers und nicht des Leiharbeitnehmers. Er ist – die übrigen Voraussetzungen des Annahmeverzugs unterstellt – unbeschadet des Arbeitsausfalls zur Vergütungszahlung verpflichtet. Diese Sichtweise ist indes nicht unangreifbar. Aus § 11 Abs. 5 AÜG lässt sich diese Risikozuweisung kaum entnehmen. Der Arbeitsausfall infolge eines Streikes wiederum ist aus der arbeitskampfrechtlichen Perspektive bei Stammarbeitskräften typischerweise mit dem Verlust des Entgeltanspruchs verbunden, was letztlich auch Teil des austarierten Systems der Arbeitskampfparität ist. Ein nachvollziehbarer Grund, dies bei Leiharbeitnehmern diametral anders zu bewerten und das Lohnrisiko dem Verleiher aufzubürden, ist aus dem Blickwinkel des Arbeitskampfrechts daher nicht ohne Weiteres gegeben.
Rz. 305
Die Höhe der fortzuzahlenden Vergütung bemisst sich jedenfalls nicht danach, was der Leiharbeitnehmer verdient hätte, wenn er beim vorgesehenen, aber bestreikten Entleiher tätig gewesen wäre. Denn genau zu dieser Arbeit kann ihn der Verleiher nicht mehr anweisen. Wenn der Verleiher keine andere Einsatzmöglichkeit für den Leiharbeitnehmer hat, richtet sich die Vergütung nach der bestehenden Regelung für Nichteinsatzzeiten. Diese Vergütung ergibt sich im Regelfall aus dem vereinbarten Tarifvertrag oder dort, wo kein Tarifvertrag angewandt wird, gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AÜG aus dem Arbeitsvertrag.