Rz. 292

Fraglich ist, ob die unmittelbare Betroffenheit nur eines Betriebsteils das Einsatzverbot auch für Leiharbeitnehmer in einem anderen Betriebsteil auslösen kann. Damit einher geht die Frage, ob bei einem Streik einer Spartengewerkschaft sämtliche Leiharbeitnehmer im Betrieb ihre Arbeit im Grundsatz niederlegen müssen, wenn nicht durch den Arbeitgeber nachgewiesen ein Fall des § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG gegeben ist.

Der Wortlaut von § 11 Abs. 5 S. 1 AÜG spricht gegen eine generelle Begrenzung des Tätigkeitsverbotes auf die vom Streik betroffenen Bereiche eines Betriebes oder Betriebsteile. Die Formulierung "wenn sein Betrieb unmittelbar betroffen ist" verdeutlicht, dass eine begrenzte Anwendung des Einsatzverbotes auf den tatsächlich betroffenen Bereich des Unternehmens nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht. So hieß es im Referentenentwurf noch "soweit sein Betrieb unmittelbar betroffen ist".[675] Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in § 11 Abs. 5 S. 3 AÜG die Formulierung "soweit" verwendet und damit deutlich zeigt, dass er den Formulierungen unterschiedliche Bedeutung beimessen wollte.

Auch die Gesetzesbegründung,[676] missbräuchliche Einwirkungen auf Arbeitskämpfe zu unterbinden, spricht für eine solche Auslegung des Begriffs der Betroffenheit. Die Beschränkung der Bestimmung auf die Verhinderung des Streikbruchs soll allein dadurch gewährleistet werden, dass das Einsatzverbot nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG generell auf diejenigen Tätigkeiten beschränkt ist, die arbeitskampfbedingt ausfallen. Dies führt zwar im Ergebnis dazu, dass sich das Einsatzverbot auf den bestreikten Betriebsteil beziehungsweise bestreikten Bereich eines Betriebes beschränken kann. Da die Beschränkung auf die arbeitskampfbedingt ausgefallenden Tätigkeiten jedoch nur greift, wenn dies der Arbeitgeber "sicherstellt" (§ 11 Abs. 5 S. 2 AÜG) bleibt in der Praxis ein nicht unerhebliches Risikopotential auf Seiten des Arbeitgebers vorhanden.

 

Rz. 293

 

Praxishinweis

Wegen der – durch den Wortlaut der Norm ausdrücklich festgelegten – Betriebsbezogenheit greift das Einsatzverbot indes nicht, wenn Leiharbeitnehmer in einem anderen Betrieb des Unternehmens eingesetzt werden, um dort Stammbelegschaftskräfte zu ersetzen, welche im bestreikten Betrieb des Unternehmens zum Streikbruch eingesetzt werden. Dem bestreikten Entleiher bleibt es damit unbenommen, Stammbelegschaftskräfte aus anderen Betrieben in dem bestreikten Betrieb einzusetzen, um diesen – jedenfalls teilweise – aufrecht zu erhalten.[677] Diese Stammbelegschaftskräfte des anderen Betriebes können ohne Verstoß gegen § 11 Abs. 5 AÜG durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden. Zwar muss der Entleiher nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG auch sicherstellen, dass "in der Kette" von dem Leiharbeitnehmer keine Tätigkeiten von solchen Arbeitnehmern übernommen werden, die ihrerseits zum Streikbruch eingesetzt werden. Dieses Verbot bezieht sich indes nur auf den bestreikten Betrieb selbst und nicht auf andere nicht bestreikte Betriebe und den dortigen Einsatz von Leiharbeitnehmern.[678]

[675] Referentenentwurf des BMAS v. 16.11.2015.
[676] BT-Drucks 18/9232, 27 f.
[677] Vgl. zu dieser Konstellation BAG v. 13.12.2011 – 1 ABR 2/10, NZA 2012, 571.
[678] So auch Schüren/Hamann/Schüren, § 11 AÜG Rn 151.

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