Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 239
Verstoßen Verleiher und Entleiher gegen die Offenlegungs- und die Konkretisierungspflicht, ist der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer – wie bisher nur bei einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung – unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG), nicht hingegen der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Diese Rechtsfolge tritt allerdings nur ein, wenn gleichzeitig gegen § 1 Abs. 1 S. 5 und S. 6 AÜG verstoßen wurde (dazu. s. Rdn 252). Selbst wenn angenommen werden sollte, dass bereits der singulare Verstoß gegen die Offenlegungs- oder die Konkretisierungspflicht ausreichend sein soll, damit der Arbeitsvertrag unwirksam wird, gilt dies nicht, wenn die Arbeitnehmerüberlassung offengelegt wird, dabei aber die (gesetzliche) Schriftform nicht eingehalten wird. Durch die gesetzliche Neuregelung sollen missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes, insbesondere Scheinwerkverträge, vermieden werden. Dieser gesetzliche Zweck wird jedoch unabhängig von der Beachtung (etwaiger) Formerfordernisse gewahrt, wenn der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag z.B. in Textform geschlossen wurde, denn der Hintergrund, den die Vereinbarung hat, wird in diesem Fall offengelegt. Die Parteien bekennen sich eindeutig zur Durchführung einer Arbeitnehmerüberlassung. Dies gilt im Übrigen auch, wenn – entgegen der hier vertretenen Ansicht – für die Konkretisierung des Leiharbeitnehmers die Schriftform verlangt, aber von den Parteien nur die Textform beachtet wird (vgl. Rdn 212).
Rz. 240
Lediglich bei der gänzlichen Nichtbeachtung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert (§ 10 Abs. 1 AÜG). Letztgenannter kann allerdings – unter Berücksichtigung der gesetzlich zwingend vorgesehenen Einbindung der Agentur für Arbeit nach § 9 Abs. 2 AÜG – innerhalb eines Monats nach dem für den Beginn der Überlassung maßgeblichen Zeitpunkt schriftlich gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklären, dass dieser an dem Arbeitsverhältnis zu dem Verleiher festhalten möchte (dazu insgesamt siehe Rdn 252 ff.). Die Rechtsfolgen nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, 10 Abs. 1 AÜG treten dabei nicht nur bei den von vornherein rechtsmissbräuchlich handelnden Parteien, sondern auch bei denjenigen ein, die einen Werk-/Dienstvertrag in nicht vorwerfbarer Weise ausschließlich objektiv rechtsfehlerhaft nicht als Arbeitnehmerüberlassung erkannt und demgemäß nicht als solche deklariert haben – diese Gleichstellung ist an sich nicht gerechtfertigt, vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Regelungsabsicht für die Praxis aber (zunächst wohl) hinzunehmen (s. dazu aber: Rdn 207).
Rz. 241
Zudem können der vermeintliche Werkunternehmer/Dienstleister und tatsächliche Verleiher sowie der vermeintliche Werkbesteller/Auftraggeber und tatsächliche Entleiher bei einem Verstoß gegen die Offenlegungspflicht jeweils mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 EUR belegt werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2 AÜG). Da sich die Konkretisierungspflicht gem. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG nur an den Verleiher richtet (Rdn 215), kann auch nur dieser, nicht hingegen der Entleiher gegen diese verstoßen und Adressat der Ordnungswidrigkeit gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1d, Abs. 2 AÜG sein (Bußgeld bis zu 30.000 EUR). Die Kodifizierung der Offenlegungspflicht, die beschriebenen Rechtsfolgen bei Verstößen und die vorgesehene Möglichkeit der Ahndung mit einer Geldbuße bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen und damit schuldhaften Missachtung sollen nach Ansicht des Gesetzgebers geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz durch die sog. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bzw. den Scheinwerkvertrag zu vermeiden. Mildere Mittel als die Pflicht, Arbeitnehmerüberlassung offenzulegen, die bei der Missbrauchsbekämpfung mindestens ebenso effektiv seien, seien nicht ersichtlich. Die Rechtsfolgen und Sanktionen seien angesichts der zu schützenden berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer sowie der regelmäßig erheblichen Interessen der beteiligten Unternehmen sowie dem Allgemeininteresse an einem geordneten Arbeitsmarkt erforderlich und angemessen. Durch den Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht riskiert der Verleiher zudem erlaubnisrechtliche Schritte, die bis zum Widerruf bzw. zur Rücknahme der diesem erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis reichen können (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, §§ 4, 5 AÜG). Insbesondere an der o.g. Angemessenheit der Sanktionen können aufgrund der eingriffsintensiven und vielgestaltigen/-schichtigen Rechtsfolgen Zweifel angemeldet werden. Dies gilt erst recht bei einer unbewusst verdeckt erfolgenden Arbeitnehmerüberlassung.
Rz. 242
Ob der im Entleiherbetrieb gewählte Betriebsrat aufgrund eines Verstoßes gegen die Pflichten nach § 1 Abs. 1 S. 5 und/oder S. 6 AÜG berechtigt ist, dem Einsatz von Fremdpersonal gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu widersprechen, wenn – statt eines "echten" Werk-/Dienstvertrages – eine verdeckte Arbeitnehm...