Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
1. Überlassung von bis zu 18 Monaten an denselben Entleiher
a) Konkretisierung des Merkmals "vorübergehend"
Rz. 80
Nach § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG ist die Arbeitnehmerüberlassung vorübergehend bis zur Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG zulässig. Diese Formulierung wirft die Frage auf, ob dem Merkmal "vorübergehend" auch bei einer Einhaltung der Überlassungshöchstdauer weiterhin eine zusätzliche zeitliche Beschränkung der Überlassungsdauer entnommen werden kann. Der Gesetzeswortlaut ("vorübergehend bis zu") ließe sich auch dergestalt auslegen, dass eine Überlassung nicht automatisch "vorübergehend" ist, nur weil sie innerhalb der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer erfolgt. Bei einer derartigen Auslegung käme der vor der Neuregelung umstrittenen und nicht abschließend geklärten Frage, wann eine Überlassung vorübergehend ist, weiterhin Bedeutung zu. Eine derartige teilweise auch in der Literatur anzutreffende Auslegung von § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG lässt sich den Gesetzesmaterialien jedoch nicht entnehmen. Im Gegenteil sollte das Kriterium der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung mit der Einführung der Überlassungshöchstdauer konkretisiert und so Rechtssicherheit geschaffen werden. Diesem Anliegen liefe ein Verständnis, dass eine Überlassung auch innerhalb der Überlassungsdauer zusätzlich anhand des Kriteriums "vorübergehend" zu prüfen wäre, zuwider. Daher ist davon auszugehen, dass Überlassungen innerhalb der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG ipso jure "vorübergehend" sind und keinen weiteren zeitlichen Schranken unterliegen. Soweit teilweise unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache JH/KG eine unionsrechtsforme Auslegung in offenkundigen Missbrauchsfällen gefordert wird, bleibt unklar, in welchen Fällen dies bei Überlassungen innerhalb der 18-monatigen Überlassungshöchstdauer der Fall sein soll.
Rz. 81
Die Überlassungshöchstdauer ist auf die Gestellung von Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes nicht anwendbar. Als Reaktion auf die "Ruhrland Klinik"-Entscheidung des EuGH und die Folgeentscheidung des BAG hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 4 DRKG bestimmt, das AÜG finde auf die Gestellung von Schwestern mit der Maßgabe Anwendung, dass die Regelungen zur Überlassungshöchstdauer keine Anwendung finden. Soweit dies in der Literatur teilweise als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen wird, überzeugt dies nicht. Für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dürfte es bereits wegen der Besonderheiten bei der Gestellung von Rotkreuzschwestern an der erforderlichen Vergleichbarkeit fehlen. Jedenfalls ist eine Ungleichbehandlung aber aufgrund der Sonderstellung des Deutschen Roten Kreuzes sachlich gerechtfertigt. Nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen JH/KG und Daimler dürfte indes die zeitlich unbeschränkte Gestellung von Rotkreuzschwestern nicht mehr als vereinbar mit der Leiharbeitsrichtlinie anzusehen sein (vgl. hierzu oben Rdn 75 ff.).
Rz. 82
Eine Sonderreglung zur Überlassungshöchstdauer gibt es zudem für den Bereich der Fleischwirtschaft. Mit Wirkung zum 1.4.2021 wurde das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) dahingehend geändert, dass in § 6a Abs. 2 GSA Fleisch für den Bereich der Schlachtung einschließlich der Zerlegung von Schlachtkörpern sowie im Bereich der Fleischverarbeitung ein Beschäftigungsverbot für Leiharbeiternehmer aufgenommen wurde. Zugleich würde in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch eine bis zum 31.3.2024 befristete und an weitere sachliche Voraussetzungen geknüpfte Öffnung für den Einsatz von Leiharbeitnehmern geschaffen, sofern sich deren Einsatz an den Vorgaben eines von den Tarifvertragsparteien der Fleischwirtschaft geschlossenen Tarifvertrags orientiert. Für eine hiernach zulässige Arbeitnehmerüberlassung ist indes die Überlassungshöchstdauer zwingend auf vier Monate begrenzt und vorherige Überlassungen an denselben Entleiher werden angerechnet, wenn zwischen den Einsätzen nicht mehr als sechs Monate liegen. Diese Beschränkungen lassen sich auch nicht durch die Begründung eines Gemeinschaftsbetriebs vermeiden, weil die Begründung eines solchen nach § 6a Abs. 1 S. 2 GSA Fleisch ausdrücklich untersagt ist. Ob der in diesen Beschränkungen liegende Eingriff in die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, ist fragwürdig und wird das BVerfG zu entscheiden haben. Ebenso ist zweifelhaft, ob die Regelung mit Art. 4 der Leiharbeitsrichtlinie sowie der durch Art. 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist (vgl. hierzu oben Rdn 75).