Dr. iur. Robert Bauer, Dr. iur. Oliver Bertram
Rz. 186
Auch für die Verpflichtung, nach neun Monaten Einsatzdauer den Leiharbeitnehmer nach dem Equal Pay Grundsatz zu vergüten, besteht jedoch eine Abweichungsmöglichkeit. So sieht die Neuregelung des AÜG vor, dass auch über neun Monate hinaus eine tarifvertragliche Vergütung an Stelle der Equal Pay Vergütung gewährt werden kann, sofern der Tarifvertrag nach spätestens 15 Monaten ein Vergütungsniveau erreicht, welches von den Tarifvertragsparteien als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist. Zudem muss spätestens nach sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt beginnen.
Rz. 187
Das hierbei vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Konzept entspricht den seit 2012 bestehenden Branchenzuschlagstarifverträgen, welche von den Arbeitgeberverbänden iGZ und BAP mit den DGB-Gewerkschaften ausgehandelt wurde. Hintergrund für den seinerzeit vorgenommenen Tarifabschluss war das Bestreben der Arbeitgeberverbände, ein vom Gesetzgeber geplantes gesetzliches Equal Pay zu verhindern. Entsprechende Tarifverträge wurden für zuletzt insgesamt zwölf Branchen abgeschlossen und führen grundsätzlich dazu, dass sich das Arbeitsentgelt der Leiharbeitnehmer für die Einsatzdauer in einem einer entsprechenden Branche angehörigen Entleiherbetrieb stufenweise erhöht. Systematisch wird dabei lediglich eine prozentuale Erhöhung der tarifvertraglich geschuldeten Vergütung festgelegt. Zudem besteht für den Entleiher die Möglichkeit, eine Deckelung der dem Leiharbeitnehmer aufgrund der Branchenzuschlagstarifverträge geschuldeten Vergütung auf das Niveau der tatsächlichen Vergütung der vergleichbaren Stammarbeitnehmer zu beantragen. Dabei sind zwei unterschiedliche Deckelungssystematiken zu beachten: Während der ersten 15 Einsatzmonate darf der Zuschlag auf 90 % des regelmäßig gezahlten Stundenentgelts eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebes begrenzt werden. Es müssen demnach für diese Deckelungsmöglichkeit weder Zulagen, Zuschläge oder sonstige von der Lage oder der Qualität der geleisteten Arbeit abhängigen Vergütungsbestandteile berücksichtigt werden. Nach dem 15. vollendeten Einsatzmonat ist die Deckelung hingegen nur noch auf das volle Arbeitsentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kunden zulässig – also unter Berücksichtigung sämtlicher Vergütungsbestandteile.
Rz. 188
Auch wenn dieser Deckelungsbetrag inhaltlich der Höhe des "Equal Pay" entspricht, ist es falsch, wenn in diesem Zusammenhang häufig davon gesprochen wird, dass bei Anwendung eines Branchenzuschlagstarifvertrages nach 15 Monaten ein Anspruch auf "Equal Pay" bestünde. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Deckelung immer nur dazu führen kann, dass sich der tarifvertraglich vorgesehene Anspruch verringert. Bei Anwendung der Branchenzuschlagstarifverträge erhält der Arbeitnehmer also auch nach 15 Monaten maximal den Betrag, der tarifvertraglich vorgesehen ist. Durch die Deckelungssystematik wird lediglich festgestellt, ob eine Reduzierung dieses Betrages möglich ist. Ein echter "Equal Pay" Anspruch hat im Gegensatz hierzu keine Obergrenze.
Rz. 189
Hinsichtlich der Anforderung, dass ein entsprechender Abweichungstarifvertrag nach spätestens 15 Monaten ein Vergütungsniveau erreicht haben muss, welches von den Tarifvertragsparteien als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt wird, legt der Wortlaut des Gesetzes nahe, dass es nicht darauf ankommt, dass die Vergütung nach spätestens 15 Monaten tatsächlich das tarifliche Lohniveau der Entleiherbranche erreicht, sondern dass es ausreichen soll, wenn ein Vergütungsniveau erreicht wird, welches die Tarifvertragsparteien als gleichwertig definiert haben. Der Wortlaut der entsprechenden Klausel in § 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AÜG lautet:
Eine längere Abweichung durch Tarifvertrag ist nur zulässig, wenn nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und […].
Es ist jedoch durchaus fraglich, ob hierdurch den Tarifvertragsparteien tatsächlich eine unbeschränkte Definitionsbefugnis zugesprochen werden sollte oder vielmehr eine gewisse objektive Vergleichbarkeit gerichtlich überprüft werden kann. Nach den bitteren Erfahrungen mit den vermeintlichen Tarifverträgen der CGZP dürfte blindes Vertrauen in tarifvertragliche Regelungen nicht angebracht sein. Ein Tarifvertrag, der bspw. pauschal festlegen würde, dass die festgelegte Grundvergütung der vergleichbaren Vergütung einer jeden denkbaren Branche entspricht, dürfte recht offensichtlich nicht der Intention des Gesetzgebers gerecht werden. Im Rahmen der Diskussion über den Umgang mit der Reform wurden entsprechende Ideen bereits hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Es ist fr...