Rz. 9

§ 158 Abs. 2 FamFG enumeriert Regelbeispiele auf, bei deren Vorliegen in der Regel die Bestellung eines Verfahrensbeistandes erforderlich ist.

1. § 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG

 

Rz. 10

§ 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG entspricht der bisherigen Regelung des § 50 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FGG und erfasst die Fälle erheblicher Gegensätze der Interessen des Kindes zu denen seiner gesetzlichen Vertreter (das müssen nicht zwingend seine Eltern sein). Hier wird das Familiengericht anhand der schriftsätzlichen Stellungnahmen der jeweiligen Verfahrensbeteiligten, ggf. später nach der mündlichen Anhörung ermitteln müssen, ob sich der gesetzliche Vertreter eines Kindes in der gebotenen Weise um eine im Interesse des Kindeswohls anzustrebende einvernehmliche Lösung eines zwischen den Eltern bestehenden Konflikts bemüht. Entscheidend ist dabei, ob die gegenüber den Interessen der Eltern eigenständigen Interessen des Kindes ungenügend wahrgenommen werden.[22] Indizien können dabei sein, ob ein Verhandlungstermin ohne ausreichende Entschuldigung versäumt wird und inwieweit Verständnis für einen seitens des Kindes klar geäußerten Willen zu seinem künftigen Aufenthaltsort aufgebracht wird.[23] Auch die Ablehnung des väterlichen Umgangs mit dem Kind durch die Mutter[24] und ein von ihr erhobener Vorwurf des Missbrauchs des Kindes kann darauf hinweisen, dass primär eigene Interessen verfolgt und die Kindesinteressen durch die Eltern nicht ausreichend vertreten werden.[25] Allerdings begründet allein die Tatsache widersprechender Anträge noch keinen Interessengegensatz;[26] dies gilt umso mehr, wenn beide Eltern übereinstimmend auf entsprechende Anfrage des Gerichts mitteilen, dass sie kein Bedürfnis für die Bestellung eines Verfahrensbeistandes sehen,[27] wenngleich dem freilich nur indizielle Bedeutung beigemessen werden kann. Erforderlich ist daher, dass sich aus konkreten Umständen die Gefahr ergibt, dass die Eltern wegen eigener Interessen nicht in der Lage sind, die berechtigten Interessen des Kindes hinreichend wahrzunehmen. Dies ist nur der Fall, wenn beide Eltern nicht zuvörderst im Interesse des Kindeswohls handeln, sondern vorrangig eigene, damit nicht zu vereinbarende Ziele verfolgen.[28]

 

Rz. 11

Liegt ein Interessengegensatz i.S.d. Nr. 1 vor, so soll von der Bestellung des Verfahrensbeistands nur abgesehen werden, wenn es sich um eine Entscheidung von geringer Tragweite handelt oder die Interessen des Kindes in anderer ausreichender Weise in das Verfahren eingebracht werden.[29]

[26] OLG Köln FuR 2000, 298; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.1.2011 – 6 UF 131/10 (n.v.).
[28] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.4.2015 – 6 UF 4/15 (n.v.).
[29] Vgl. BT-Drucks 13/4899, S. 12.

2. § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG

 

Rz. 12

In den Verfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands erforderlich, wenn die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge in Betracht kommt.[30] Der Gesetzgeber hat sich hierbei an § 50 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FGG angelehnt, dieses Regelbeispiel aber dadurch eingeschränkt, dass die vorgenannte Entziehung "in Betracht" kommen muss. Dies deutet darauf hin, dass – anders als früher – die Bestellung erst dann zu erfolgen hat, wenn das Gericht die Entziehung erstmals aufgrund seiner Ermittlungen für durchaus möglich hält, wofür auch die abweichende Formulierung in § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG ("erfolgen soll") spricht;[31] es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesbezüglich bewusst differenziert hat.

 

Rz. 13

Dieses Regelbeispiel ist leicht nachvollziehbar, hält man sich vor Augen, dass in diesen Fällen schwerwiegende Eingriffe in das Elternrecht in Rede stehen,[32] wodurch die Zuordnung des Kindes zu seiner Familie berührt wird. Diese Verfahren sind daher von erheblicher Bedeutung für das Kind.[33] Hinzu kommt, dass den Verfahren in der Regel ein elterliches Fehlverhalten zugrunde liegt und diese daher zu einer objektiven Interessenvertretung des Kindes häufig nicht mehr in der Lage sind,[34] zumal sie sich häufig – die Praxis beweist dies tagtäglich – um ihre eigene "Verteidigung" anstatt um ihr Kind bemühen. Außerdem stehen die Kinder in einem Loyalitätskonflikt, weil sie trotz des Unvermögens ihrer Eltern meist um deren Verlust fürchten.

 

Rz. 14

Nur ausnahmsweise ist von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes abzusehen, wenn etwa zwischen allen Verfahrensbeteiligen Einvernehmen darüber besteht, dass eine andere Maßnahme als die Trennung des Kindes von seiner Familie nicht in Betracht kommt und sich auch im Rahmen der Anhörung des Jugendamts sowie des Kindes keine gegenteiligen Gesichtspunkte ergeben haben.[35] In diesem Fall sind die Interessen des Kindes durch seine Anhörung, ggf. auch durch die nachfolgende Einholung eines Sachverständigengutachtens, in ausreichendem Maß gewahrt.

[30] OLG Saarbrücken JAmt 2003, 41; siehe auch Büchner/Mach-Hour, Verfahrensbeistandschaft bei Kindeswohlgefährdung, NZFam 2016, 597.
[31]...

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