Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 315
Die Zivilprozessordnung enthält keine allgemeine Regelung für Beweisvereitelungen. §§ 427, 441 Abs. 3 S. 3, 444, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO erfassen einzelne Sachverhalte. Auf der Grundlage dieser einzelnen Normen i.V.m. § 242 BGB kann das Gericht aber eine Beweisvereitelung annehmen und bei der Beweiswürdigung nachteilig bewerten. Um eine Frage der Beweislastumkehr handelt es sich dabei jedoch nicht.
Rz. 316
Beispiele für Beweisvereitelungen sind:
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die – selbst fahrlässige – Beseitigung von Beweismitteln, |
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das Nichtaufbewahren des schadhaften Bauteils, |
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die Verletzung der handelsrechtlichen Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten, |
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die gezielte Variation der Unterschrift, |
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die Verweigerung zumutbarer ärztlicher Untersuchung, |
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das Verschweigen beweiserheblicher Umstände, |
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die triftiger Gründe entbehrende Versagung der Aussagegenehmigung. |
Rz. 317
Tatsächlich kommt dem Einwand, dass der Prozessgegner einen Beweis vereitle, in der Praxis keine überragende Bedeutung zu, denn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Vereitelung sind eng.
Rz. 318
Dazu hat der BGH entschieden:
Zitat
"Von einer Beweisvereitelung kann nur ausgegangen werden, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert. Deshalb ist eine Beweisvereitelung nicht anzunehmen, wenn es der beweisbelasteten Partei möglich gewesen wäre, den Beweis – etwa im Wege eines selbstständigen Beweisverfahrens – zu sichern."
Rz. 319
Besondere Bedeutung kommt der Fallgestaltung zu, dass eine nicht beweisbelastete Partei ablehnt, einen Zeugen (Arzt, Anwalt, Steuerberater) von der Pflicht zur Verschwiegenheit zu entbinden. Jedoch stellt nur ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten der die Aussagegenehmigung verweigernden Partei eine Beweisvereitelung dar. Davon kann nicht die Rede sein, wenn die betreffende Partei Anlass zu der Besorgnis hatte, dass der Zeuge aufgrund einer mandantschaftlichen Verbundenheit oder unter dem Eindruck einer drohenden Schadensersatzpflicht dazu neigen könnte, einseitig den Rechtsstandpunkt der Gegenpartei zu untermauern.
Rz. 320
Kann einer Partei der Vorwurf gemacht werden, sie habe den vom Prozessgegner zu führenden Beweis vereitelt, führt dies nicht dazu, dass eine Beweiserhebung gänzlich unterbleiben kann und der Vortrag der beweispflichtigen Partei als bewiesen anzusehen ist. Vielmehr sind zunächst die von der beweispflichtigen Partei angebotenen Beweise zu erheben. Stehen solche Beweise nicht zur Verfügung oder bleibt die beweisbelastete Partei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme beweisfällig, ist eine Beweislastumkehr in Betracht zu ziehen und den Beweisangeboten des Prozessgegners nachzugehen.
Rz. 321
Außerdem liegt auch dann keine Beweisvereitelung durch Weigerung der Aussagegenehmigung für einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Zeugen vor, wenn ungeklärt bleibt, ob der Zeuge bei einer Genehmigungserteilung ausgesagt hätte.