Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 8
Bei der Fristenberechnung ist ferner von Bedeutung, ob die Verjährungsfrist ausnahmsweise gehemmt worden ist, §§ 203 bis 211 BGB.
Rz. 9
Gehemmt wird die Verjährung vor allem durch Verhandlungen über den Anspruch, § 203 BGB, und die gerichtliche Verfolgung des Anspruchs, § 204 BGB, u.a. aber auch durch die Vereinbarung eines Leistungsverweigerungsrechts, § 205 BGB, wegen höherer Gewalt, § 206 BGB, und aus familiären und ähnlichen Gründen, § 207 BGB.
Rz. 10
Rechtsfolge der Hemmung der Verjährung ist nach § 209 BGB, dass der Zeitraum, in welchem die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird. Dieser Zeitraum wird also der Verjährungsfrist hinzugefügt. Bei Verhandlungen über den Anspruch nach § 203 BGB tritt aber frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung Verjährung ein. Bei der Hemmung durch Rechtsverfolgung gilt zusätzlich § 204 Abs. 2 BGB: Die Hemmung endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitiger Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Wenn die Parteien das Verfahren nicht betreiben (sodass es in Stillstand gerät), ist die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle maßgebend.
Rz. 11
Praxistipp
Vergleichsgespräche i.S.d. § 203 BGB dürfen für den Rechtsanwalt, welcher den Gläubiger vertritt, nicht dazu führen, die Verjährung der Forderung zu vernachlässigen: Verhandelt der Anwalt (oder auch der Mandant selbst) lediglich mündlich, ist in jedem Fall das reguläre Verjährungsdatum wie üblich zu notieren. Weil bei Verhandlungen bis zur Fortsetzungsweigerung durch eine der Parteien die Verjährung gehemmt ist und die Drei-Monats-Frist nach § 203 BGB gilt, ist unbedingt für regelmäßige Wiedervorlagen zu sorgen, um eine etwaige Einstellung der Gesprächsbereitschaft des Schuldners feststellen zu können. Die neue Verjährungsfrist ist zu notieren. Zur erleichterten Beweisführung für die Dauer des Schwebens der Verhandlungen sind dem Schuldner ggf. Protokollvermerke über die Verhandlungen zu übersenden. Umgekehrt sollte der Vertreter des Schuldners schriftlich mitteilen, wenn er nicht mehr bereit ist, weiter zu verhandeln: Er wird sich dann ggf. auf die Einrede der Verjährung nach Ablauf der Drei-Monats-Frist berufen können.
Rz. 12
Einen Sonderfall der Verjährungshemmung sieht § 115 Abs. 2 S. 3 VVG vor: Hat ein geschädigter Mandant bzw. sein Rechtsanwalt den Anspruch beim Versicherer angemeldet (eine bloße Schadensanzeige genügt allerdings nicht), ist die Verjährung so lange gehemmt, bis dem Anspruchsteller die – ablehnende – Entscheidung des Versicherers in Textform zugeht. Die (Ablauf-)Hemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.
Rz. 13
Droht der Anspruch des Mandanten zu verjähren, ist ein Hemmungstatbestand nach § 204 BGB herbeizuführen. Die wichtigsten Möglichkeiten sind:
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die Zustellung des Mahnbescheids oder des Europäischen Zahlungsbefehls (im Europäischen Mahnverfahren), § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, das Mahnverfahren darf insoweit nicht missbraucht werden, was der Fall ist, wenn der Antragsteller falsch angibt, der Anspruch sei von keiner Gegenleistung abhängig oder die Gegenleistung sei bereits erbracht, |
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die Klageerhebung auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, |
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die Klageerhebung auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, |
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die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe, § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB, |
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die Zustellung eines Antrags auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens, § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB, |
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die Zustellung des Antrags auf Erlass eines Arrests, einer einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung, § 204 Abs. 1 Nr. 9 BGB, |
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die Veranlassung der Bekanntgabe eines Antrags bei einer staatlichen (anerkannten) Streitbeilegungsstelle, mit dem der Anspruch geltend gemacht wird, § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB, der Antragsgegner und auch die Gütestelle müssen das Verfahrensziel und die Größenordnung des verfolgten Anspruchs erkennen können, der Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens, § 204 Abs. 1 Nr. 11 BGB, |
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die Zustellung der Streitverkündung, § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB, |
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die Anspruchsanmeldung im Insolvenzverfahren, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB, |
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die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger, § 204 Abs. 1 Nr. 2 BGB, |
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die Aufrechnung im Prozess, § 204 Abs. 1 Nr. 5 BGB. |