Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 250
Die Parteivernehmung ist ein echtes Beweismittel der Zivilprozessordnung. Sie ist von der bloßen (informatorischen) Anhörung der Parteien zu unterscheiden. Zu der Güteverhandlung und der sich unmittelbar daran anschließenden mündlichen Verhandlung werden die Parteien meistens persönlich geladen, und zwar für Vergleichsverhandlungen und/oder für eine Sachverhaltsaufklärung. Dort werden sie angehört, jedoch ohne, dass es sich dabei um eine förmliche Beweisvernehmung handeln würde. Der Tatrichter darf gemäß § 286 ZPO allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung feststellen, was er für wahr bzw. für nicht wahr erachtet. Er kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben einer Partei ggf. auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann. Der Rechtsanwalt, dessen Mandant sich offensichtlich in Beweisnot befindet, sollte daher nach Möglichkeit auf seine Anhörung hinwirken.
a) Antrag auf Vernehmung
Rz. 251
Gemäß § 447 ZPO kann jede Prozesspartei beantragen, dass der Beweispflichtige, mithin auch der Mandant, als Partei vernommen wird. Ist der Gegner einverstanden, kann das Gericht (muss aber nicht) die Partei vernehmen. Regelmäßig scheitert jedoch eine Vernehmung der eigenen Partei an einer Zustimmung des Gegners. Vor dem Beweisantritt ist klarzustellen, dass der Mandant tatsächlich aussagen wird: Sagt er nicht aus, oder wird der Beweisantritt zurückgenommen, kann das Gericht dies entsprechend §§ 446, 454 ZPO werten.
Rz. 252
Die Vernehmung des Gegners nach § 445 ZPO ist erst möglich, wenn die anderen vorgebrachten Beweismittel erschöpft sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Weiterhin muss die beweisbelastete Partei alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten haben. Hingegen ist es zur Wahrung der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 448 ZPO nicht erforderlich, dass die beweisbelastete Partei eine im Lager des Prozessgegners stehende Person als Zeugen benennt; erst recht braucht sie nicht die Parteivernehmung des Gegners zu beantragen.
Außerdem hat der Rechtsanwalt vor diesem Beweisantritt die Beweislast festzustellen: Wenn er nämlich irrtümlich annimmt, sein Mandant sei beweispflichtig, und beantragt, den Gegner nach § 445 ZPO zu vernehmen, kann dieser nach § 447 ZPO sein Einverständnis erklären. Dann eröffnet der nicht beweispflichtige Mandant der Gegenseite die Beweismöglichkeit.
b) Sinn und Zweck
Rz. 253
Zulässig ist es, den Beweisantritt zu bedingen, etwa: "Beweis: Vernehmung des Beklagten, falls der Kläger beweispflichtig ist." Der Antrag ist nur sinnvoll, wenn zu hoffen ist, dass der Gegner von seinem bisherigen Vortrag abrückt oder wenn dies für einen Regressprozess erforderlich ist. Das dürfte in den seltensten Fällen zu erwarten sein. Der falsch aussagenden Partei drohen de facto nämlich mangels Nachweisbarkeit kaum Nachteile: Die uneidliche falsche Parteiaussage ist gemäß § 153 StGB nicht strafbar; wenn keine anderen Beweismittel vorhanden sind, ist regelmäßig auch kein Prozessbetrug nachweisbar. Es ist damit zu rechnen, dass sich unredliche Parteien dessen bewusst sind und auch danach handeln. Den Antrag, die gegnerische Partei zu vernehmen, sollte man daher äußerst vorsichtig einsetzen. Falls Hoffnung besteht, auf diese Weise den erforderlichen Beweis erbringen zu können, gilt Folgendes:
Rz. 254
Das Beweisthema, zu dem die andere Partei vernommen werden soll, ist im Antrag exakt vorzutragen, um zu verhindern, dass die Gegenseite bei ihrer Vernehmung zu allen ihr nützlichen Punkten aussagt.