Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 255
Eine Urkunde im Sinne der Zivilprozessordnung ist die "schriftliche Verkörperung eines Gedankens". Nur eine echte und körperliche intakte Urkunde hat volle Beweiskraft dafür, dass der Aussteller die Erklärung abgegeben hat, welche in der Urkunde festgehalten ist (nicht, dass der Inhalt des Niedergeschriebenen tatsächlich zutrifft).
Rz. 256
Bei diesem Beweisantritt sollte die Urkunde – zumindest als elektronische Kopie – rechtzeitig vor dem Termin mit einem Schriftsatz übermittelt werden. Dabei ist nach § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO auf die Urkunde Bezug zu nehmen. Bei Konvoluten muss das Schriftstück nach Blättern oder Stellen bezeichnet werden, andernfalls würde es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln.
a) Förmlicher Beweisantritt
Rz. 257
Soll förmlich Beweis angetreten und nicht lediglich zur Information des Gerichts und des Prozessgegners ein Schriftstück übersandt werden, ist die Urkunde rechtzeitig vor dem Termin im Original mit einem Schriftsatz an das Gericht vorzulegen, denn der Beweisantritt beim Urkundenbeweis erfolgt dadurch, dass die Urkunde vorgelegt wird, 420 ZPO.
Trotz der aktiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) stellt die Übermittlung von schriftlichen/papierhaften Urkunden ersichtlich eine Ausnahme von der aktiven Nutzungspflicht des beA dar, weil § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO gerade auf den Erhalt der "analogen" Originalurkunde abzielt. Davon Gebrauch zu machen, ist auch empfehlenswert, denn die elektronische Kopie – anstatt der papierhaften Originalurkunde – genügt grundsätzlich nicht der sich aus § 420 ZPO ergebenden Vorlagepflicht, die sich auf das Original bezieht. Bestreitet der Prozessgegner aber die Übereinstimmung mit der Originalurkunde nicht, kann das Gericht die elektronische Kopie frei würdigen, § 286 ZPO.
In jeden Fall ist aber die elektronische Kopie der Urkunde so zeitig wie möglich zu übermitteln, um der Gefahr entgegenzuwirken, dass das Gericht eine Verspätung nach § 296 Abs. 2 ZPO feststellen könnte.
Rz. 258
Wichtiger Hinweis
Im Hinblick auf § 298a Abs. 2 S. 5 ZPO, wonach bei elektronischer Aktenführung eine Vernichtung nicht rückgabepflichtiger Schriftstücke binnen sechs Monaten vorgesehen ist, sollte das Gericht unbedingt darauf hingewiesen werden, auf den Originalcharakter der Urkunde und die Notwendigkeit einer Rückgabe hinzuweisen, um einer – versehentlichen Vernichtung – vorzubeugen.
b) Zeitpunkt
Rz. 259
Nach Möglichkeit sollte die Urschrift nicht erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt werden: Der Gegner könnte dann vielleicht geltend machen, dass erst durch die Einsichtnahme des Originals neuer erheblicher Sachvortrag möglich wird (z.B. dass die Unterschrift nicht echt sei), sodass darüber ggf. Beweis durch Gutachten eines Schriftsachverständigen zu erheben wäre und sich das Verfahren zulasten der Partei verzögern würde, schlimmstenfalls verloren ginge.
c) Vorlage des Originals
Rz. 260
Das Original ist immer dann vorzulegen, wenn die Partei die Urkunde besitzt oder sie ohne gerichtliche Hilfe beschaffen kann. Eine beglaubigte oder einfache Abschrift oder Kopie würdigt das Gericht lediglich frei, also nicht als Beweismittel.
d) Beweiskraft elektronischer Dokumente
Rz. 261
Die Beweiskraft privater elektronischer Dokumente ist gesetzlich geregelt, § 371a Abs. 1 S. 1 ZPO: Danach sind private elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, wie andere private Urkunden beweiskräftig. Der Anschein der Echtheit einer in elektronischer Form vorliegenden Erklärung, der sich aufgrund der Prüfung nach dem Signaturgesetz ergibt, kann nur durch Tatsachen erschüttert werden, die ernstliche Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber abgegeben worden ist, § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO.
Rz. 262
Ein Beweisantritt ist gemäß § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO in zwei Varianten möglich. Der Beweisführer, der Prozessgegner (oder ein vorlagepflichtiger Dritter) können die Datei nach ihrer Wahl entweder vorlegen oder übermitteln. Vorzulegen ist der ursprüngliche Datenträger selbst oder ein anderer Datenträger, auf den die Datei kopiert wurde (Festplatte, Diskette, CD, DVD oder USB-Stick). Eine Übermittlung ist
Zitat
"das Zurverfügungstellen der Datei auf technischem Wege als physikalisches, meist elektromagnetisches Signal in einem Übermittlungskanal unter Zugrundelegung eines für den Absender und Empfänger identischen Übermittlungsprotokolls."
Als Übermittlungswege sind solche gemäß § 4 Abs. 1 ERVV (EGVP, De-Mail, beA, beN, beBPo, eBO und die Nutzerkonten des OZG) zugelassen.
Ein Screenshot eines Internetinhalts ist ein elektronisches Dokument nach § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO. Dessen Ausdruck auf Papier ist aber kein elektronisches Dokument und auch kei...